Die Standhafte im Konsumsturm (#52)

Hauptkirche St. Petri, Mönckebergstraße, 20095 Hamburg

Mein Besuch am 5. Januar 2024

Kirchen, die am unmittelbaren Rand von großstädtischen Haupteinkaufsstraßen liegen, haben eine ganz besonderen Auftrag. Wie Botschafter einer anderen Welt blicken sie auf den kommerziellen Trubel um sie herum, auf leuchtende Markenreklame, auf baumelnde Einkaufstüten, auf das ganze hektische Treiben des ungehemmten Konsums. Die Verantwortlichen solcher Kirchen sind sich ihres besonderen Auftrags als Insel im Sturm der materialistischen Moderne bewusst. Sie öffnen ihre Kirchen meist ganztägig und laden das um sie herum gaukelnde Shopping-Volk ein zu einem Moment der Besinnung, zu einem Augenblick der Stille.

Ein liegender Weihnachtsbaum: Auf dem Wachs der abgebrannten Kerzen leuchtet das Licht von heute.

 

Die Hauptkirche St. Petri an Hamburgs Haupteinkaufsstraße empfängt ihre Besucher mit urbaner Weite. Nach fast vollständiger Zerstörung beim großen Hamburger Brand von 1842 fast vollständig neu errichtet, wirkt das seither neugotisch gestaltete Kirchenschiff streng, wach und standhaft. Die bunten Fenster und das gut gedimmte Licht macht im Winter die Kirche zu einem sehr einladenden Raum.

Eine Kirche, die sich den gesellschaftlichen Debatten ihrer Zeit stellt: Heute gegen Antisemitismus und Terror, früher rund um die Atomkraft.

Das Standhafte scheint mir hier ohnehin ganz wesentlich zu sein. In der Auseinandersetzung um die Atomkraft spielte dieser Kirchenbau eine Rolle, als die Petri-Kirche 1979 von Atomkraftgegnern auf der Suche nach „Kirchenasyl“ mehr als zwei Wochen lang besetzt worden war. Die Verzweiflung, die damals mit der Atomkraft verbunden war (und heute bei manchen völlig in Vergessenheit geraten zu sein scheint), trieb schon fast zwei Jahre früher, im November 1977, vor der Petrikirche den unglücklich-fanatischen Atomkraftgegner Hartmut Gründler in die Selbstverbrennung. Es war ein Protest gegen die SPD und ihren damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, die zeitgleich ihren Parteitag in Hamburg abhielt.  Heute erinnert eine Gedenktafel an der Kirche an diese Verzweiflungstat, und sie mahnt vielleicht auch daran, welchen  gesellschaftlichen Frieden wir der Entscheidung verdanken, Deutschland aus der Atomkraftnutzung herauszuführen. Heute fordern andere Konflikte die Standhaftigkeit der Gesellschaft heraus, und damit auch dieser Kirche. Ein großes Plakat an der Fassade der Petrikirche mahnt zum „Nein zu Antisemitismus und Terror“. Und ein Denkmal für den von Nazis im KZ ermordeten evangelischen Geistlichen Dietrich Bonhoeffer steht auch im prominenten Schatten dieser Kirche, ein Mahnmal für Standhaftigkeit bis zum eigenen Tod.

In der Kirche wärmte in den Nach-Weihnachtstagen ein besonderer Christbaum mein Gemüt: Er stand nicht, sondern lag. Auf einem querliegenden Stamm türmte sich erstarrtes Wachs, herabgeronnen von Tausenden Kerzen, die man dort erwerben und auf das stetig anwachsende Wachsgebirge kleben konnte, ihrer leuchtenden, mahnenden Vergänglichkeit entgegen.

Das neugotische Kirchenschiff wurde nach dem Hamburger Brand von 1842 errichtet. Gute Lichtführung erzeugt eine Atmosphäre von einladender Wärme.

 

Die Hauptkirche St. Petri hat eine sehr informative Website mit einem virtuellen Rundgang: https://www.sankt-petri.de/turm-kirche-kunst/virtueller-rundgang

Von den Hamburger Hauptkirchen habe ich auch schon die nah am Hafen stehende Hauptkirche St. Katharinen besucht. Weitere Kirchen aus meiner Sammlung #1000Kirchen finden Sie hier. 

 

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