Die Jugendstil-Kirche (#56)

Ein Kirchenraum zum Wohlfühlen, ohne Strenge, aber nicht beliebig: Die mit vielfältigen Ornamenten ausgestattete Erlöserkirche in München-Schwabing.

Erlöserkirche, Ungererstr. 13, 80802 München

Mein Besuch am 16. April 2024

So wie heute in unseren Großstädten Moscheen wachsen, finanzierten Zugewanderte mit evangelischem Bekenntnis Ende des 19. Jahrhunderts im tiefkatholischen München Kirchen nach ihren Bedürfnissen. Eine davon ist die Erlöserkirche in Schwabing, direkt an der „Münchner Freiheit“, dem Platz im Norden Schwabings, der heute ein Trambahnhof, eine U-Bahn-Umsteigestation, ein halb in die Erde vergrabenes Einkaufszentrum ist. Und viel mehr: Ein Treffunkt, Ausgangspunkt für Kneipen- und Einkaufstouren durch das alte Schwabing, das es für Romantiker ohnehin nicht mehr gibt.

Städtebaulich war die Erlöserkirche als optischer Schusspunkt der Leopoldstraße gedacht. Davon ist nicht viel übrig geblieben. Die brutale Schneide moderner Mobilität führt nun schnurstracks an der Kirche vorbei, geradezu so, als ätte man sie zur Seite geschoben. Dazu kommt, dass die Kirche auf mich äußerlich eher beliebig wirkt, ein wuchtiger Kirchenbau von vielen. Ich selbst bin an dieser Kirche schon hunderte Male vorbeigelaufen ohne ihr nähere Beachtung zu schenken.

Unter der dunkelgrünen Kassettendecke schwebt ein filigranes Kunstwerk. Es heißt „Torus“ und wurde von Florian Froese-Peeck geschaffen.

Nun habe ich sie erstmals betreten, und selten hat mich ein Kirchenraum so überrascht. Das Innere ist vom Jugendstil geprägt, ein weiter, wohliger Kirchenraum breitet sich aus, dem jede Strenge fehlt. Mit spielerischen Elementen könnte dieser Raum ein großes Wohnzimmer sein. Bunte Ornamente heben die Wucht der historisierenden Rundsäulen auf, doppelstöckige Bögen tragen. Hier ist alles rund und fließend, das Gegenstück zur Strenge vieler anderer Gotteshäuser, und doch keinesfalls beliebig. Mich hat die Vielfalt sehr ästhetischer Ausstattungselemente fasziniert, auch die moderne Dauerinstallation, die über dem Alter schwebt. Eine in sich geschlungene, filigrane Endlosschleife kringelt da im Raum, geschaffen vom Künstler Florian Froese-Peeck. So ein schöner Innenraum!

Die Baugeschichte und eine gute Beschreibung des Innenraums findet sich auf der Website der Erlöserkirche. 

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Die Schmucklose über dem Rhein (#55)

Basler Münster, Münsterplatz 9, 4051 Basel, Schweiz
Mein Besuch am  24. März 2024
Den Stadtplan musste ich bemühen, um das Münster überhaupt zu finden. Anders als häufig sonst prahlt die stadtbildprägende Kirche in Basel nicht im Zentrum der Stadt, am Marktplatz beispielsweise. Hier muss man enge Gässchen heraufsteigen, bis der weite Münsterplatz erreicht ist. Dort aber dominiert dann die große Kirche mit rötlichem Buntsandstein, steht stolz am Abhang und lädt ein, zunächst nicht das Bauwerk, sondern die Terrasse zu besuchen, die sich auf seiner Rückseite über den Rhein breitet. Minutenlang kann man dort stehen, die Brücken zählen und die Schiffchen weit unten, und auch die modernen Häuser gegenüber.
Das Münster in Basel ruht auf mächtigen romanischen Säulen. Nach einem Erdbeben wurde es in gotischem Stil wiedererrichtet.
Das Innere des Münsters ist schlicht, eher schmucklos und streng. Die Baugeschichte des Münsters geht bis auf die spätromanische Zeit zurück (um 1200) und so stützen seither mächtige Pfeiler und kaum gespitzte Bögen das mächtige Kirchenschiff. 1356 wurde die Kirche bei einem Erdbeben schwer beschädigt, und beim Wiederaufbau wurden den romanischen Säulen eine gotisches Kreuzgewölbe aufgesetzt. Ich habe den Kirchenraum als stimmig und harmonisch erlebt, auch als friedlichen Ort. Keine Kirchenbänke laden hier zum Sitzen ein, sondern beliebig gruppierbare Einzelstühle. Das friedlich-strenge Gesamtbild geht vielleicht auch darauf zurück, dass in Basel nach der Reformation stürmisch gegen den Bilderschmuck vorgegangen wurde. Der „Bildersturm“ von 1529 muss ein unerfreulicher Zerstörungsakt religiöser Eiferer gewesen sein. Kunsthistorisch sicherlich ein Frevel, aber mir fehlte nichts in diesem großen Raum.

Weiße Gotik im Backsteingewand (#54)

Schmucklose Strenge: Die spätgotische Frauenkirche, das Wahrzeichen von München, überrascht mit seiner weißen Innengestaltung.

Dom Zu unserer lieben Frau, Frauenplatz 1, München

Mein Besuch am 4. März 2024

Am meisten hat mich einmal mehr das Weiß überrascht. Diese Kirche ist innen strahlend weiß, ihre engstehenden, hochstrebenden, mächtigen Pfeiler recken sich schmucklos dem in sanftem Pastellton beige gestalteten Sterngewölbe entgegen. Vergeblich habe ich nach Quellen gesucht, wann diese Farbgestaltung in der gut 500-jährigen Geschichte des Münchner Doms gewählt wurde. Vermutlich geschah dies bereits in den 1930-er Jahren.

Das riesige Backsteingebäude mit den unverwechselbaren, haubengeschützten Türmen ist schon allein wegen dieses rötlichen Baustoffs eher ungewöhnlich in München. Das strenge Weiß in seinem Inneren kontrastiert noch dazu die sonst oft barocke Lust im Süddeutschen. So ist die Frauenkirche für mich ein Signal der Offenheit, der Akzeptanz des Anderen. Von Stolz oder Überheblichkeit ist in dieser Kirche nichts zu spüren, sogar dem Teufel hat man einen „Tritt“ gewährt. Einer Legende nach ist er Ergebnis eines Freudensprungs des Satans darüber, dass die Kirche ohne Fenster errichtet worden sei. Das ist natürlich Unsinn, sie werden an dieser Stelle nur verdeckt durch die engstehenden Säulen.

„Erde zu Erde…“ nennt sich das Kunstwerk von Madeleine Dietz, das zeitweise den Hauptaltar der Frauenkirche verdeckt(e).

Ungemein aufgeräumt empfängt die Kathedrale den Besucher, lässt ihn schlendern zwischen den Säulen, entlang an den Seitenaltären, die hier optisch eher verschwinden als vom  Reichtum ihrer Spender zu berichten. Als ich die Kirche jetzt einmal wieder besuchte, war gerade sogar der Hauptaltar verdeckt. „Erde zu Erde“ heißt das Kunstwerk, das die Künstlerin Madeleine Dietz in den Dom einbringen durfte (noch bis 15.3.2024). Eine unverputzte, erdige Mauer und eine bröckelige Erdbahn regen zum Nachdenken über die Vergänglichkeit an.

Es wird so viel kritisiert an der katholischen Kirche, und das so oft vollkommen zu Recht. Mir ging es so, dass an diesem offenen, frommen Ort eine Beobachtung alle Kritik in mir  verstummen ließ. Ein Mann fiel mir auf, vielleicht vierzig Jahre alt, gewandet in seiner orangefarbenen Dienstkleidung – ein Müllwerker oder Arbeiter eines Straßenbautrupps -, seinen Helm hatte er abgenommen, ganz offensichtlich kam er an diesem Montagvormittag gerade von der Arbeit. So reihte er sich ganz selbstverständlich zwischen die Touristen und Stadtbesucher mit ihren Einkaufstüten ein in die kurze Schlange am Kerzenständer, warf seine Münzen in die Kasse und entzündete ein Licht.

Solange es Menschen gibt, die dafür mitten in der Millionenstadt noch ein so großes, mächtiges Kirchengebäude brauchen, die ihre Arbeit unterbrechen, um eine Kerze anzuzünden – so lange sind meine Kirchensteuern gut angelegt.

Mehr über die Frauenkirche z.B. bei Wikipedia.

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Keine Fische in Sicht in Zuffenhausen (#53)

St. Antonius zu Padua, Markgröninger Str. 35, 70435 Stuttgart-Zuffenhausen

Mein Besuch am 7. Februar 2024

Die neoromanische Antonius-Kirche in Stuttgart-Zuffenhausen verbirgt sich in den engen Gassen des ehemaligen Arbeiterviertels.

Üblicherweise wird man sich dieser Kirche zu Fuß nähern durch enge, vollgeparkte Gassen, die den Blick auf den neoromanischen Bau erst wenige Meter vor dem Ziel preisgeben. Es ist ein prosaisches Vorstadtbild, in dessen Mitte diese Kirche des St. Antonius von Padua steht. Als Arbeiterviertel geprägt, heute durch Migration und bunte Vielfalt bereichert, duckt sich das Gewirr aus unterschiedlichsten Häuschen und Häusern den Hang entlang. Stuttgart-Zuffenhausen ist längst kein christlich geprägter Stadtteil mehr, hier sind die Christen längst in eine Minderheitenposition gerutscht.

Der Heilige St. Antonius von Padua (1195? – 1231), nach dem diese Kirche benannt wurde, passt bestens in dieses Bild. Ihm werden zahlreiche schützende und helfende Funktionen zugeordnet.  So steht er gläubigen Menschen zur Seite, wenn  sie etwas verlegt oder verloren haben (daher wird er im Bayerischen liebevoll als  „Schlampertoni“ bezeichnet). Er war und ist den Armen zugewandt, er hilft bei der Partnersuche, um nur wenige Kompetenzen herauszugreifen, die dem historischen Franziskaner-Bischof zugeschrieben werden. Der Legende nach hörten ihm , obwohl er doch so redebegabt war, die Stadtbewohner von Rimini nicht zu, und so richtete er seine Predigt ersatzweise an die Fische im Mittelmeer , die ihm folgsam ihr Ohr schenkten. Gustav Mahler vertonte dieses Motiv durchaus heiter in seiner Vertonung des Liederzyklus von Clemens Brentano „Des Knaben Wunderhorn“.

Wohltuend aufgeräumt: Die Kirche ist schlicht und still, ein einladender Ort der Ruhe in einer weltlichen Zeit.

Heute steht der schlichte, akkurat aufgeräumte Kirchenbau im strohtrockenen Zuffenhausen und wirbt in einer weltlich geprägten Zeit um Menschen, die zuhören. Die Legende von der Predigt an die Fischer ist ja nicht zuletzt eine Metapher dafür, dass es nicht immer die Worte sind, die das Leben ausmachen. So schweigt diese Kirche schlicht und still. Am Werktag hatte ich Gelegenheit, sie ganz alleine zu erleben, das Frühjahrslicht fällt durch schmucklose Fenster, der geschmackvoll zurückhaltend renovierte Innenraum atmet fromme Klarheit. Die Einrichtung ist symmetrisch geordnet. Es ist ein Raum der Ruhe in einer Zeit und an einem Ort, in dem die viele glauben, keiner Ruhe zu bedürfen, sie sich mehr ersehnen zu müssen, als gönnen zu dürfen.

 

Mehr über den heiligen St. Antonius von Padua bei Wikipedia. Die Vertonung sein er Fischpredigt durch Gustav Mahler klingt so. (Klick führt zu Youtube) 

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Die Standhafte im Konsumsturm (#52)

Hauptkirche St. Petri, Mönckebergstraße, 20095 Hamburg

Mein Besuch am 5. Januar 2024

Kirchen, die am unmittelbaren Rand von großstädtischen Haupteinkaufsstraßen liegen, haben eine ganz besonderen Auftrag. Wie Botschafter einer anderen Welt blicken sie auf den kommerziellen Trubel um sie herum, auf leuchtende Markenreklame, auf baumelnde Einkaufstüten, auf das ganze hektische Treiben des ungehemmten Konsums. Die Verantwortlichen solcher Kirchen sind sich ihres besonderen Auftrags als Insel im Sturm der materialistischen Moderne bewusst. Sie öffnen ihre Kirchen meist ganztägig und laden das um sie herum gaukelnde Shopping-Volk ein zu einem Moment der Besinnung, zu einem Augenblick der Stille.

Ein liegender Weihnachtsbaum: Auf dem Wachs der abgebrannten Kerzen leuchtet das Licht von heute.

 

Die Hauptkirche St. Petri an Hamburgs Haupteinkaufsstraße empfängt ihre Besucher mit urbaner Weite. Nach fast vollständiger Zerstörung beim großen Hamburger Brand von 1842 fast vollständig neu errichtet, wirkt das seither neugotisch gestaltete Kirchenschiff streng, wach und standhaft. Die bunten Fenster und das gut gedimmte Licht macht im Winter die Kirche zu einem sehr einladenden Raum.

Eine Kirche, die sich den gesellschaftlichen Debatten ihrer Zeit stellt: Heute gegen Antisemitismus und Terror, früher rund um die Atomkraft.

Das Standhafte scheint mir hier ohnehin ganz wesentlich zu sein. In der Auseinandersetzung um die Atomkraft spielte dieser Kirchenbau eine Rolle, als die Petri-Kirche 1979 von Atomkraftgegnern auf der Suche nach „Kirchenasyl“ mehr als zwei Wochen lang besetzt worden war. Die Verzweiflung, die damals mit der Atomkraft verbunden war (und heute bei manchen völlig in Vergessenheit geraten zu sein scheint), trieb schon fast zwei Jahre früher, im November 1977, vor der Petrikirche den unglücklich-fanatischen Atomkraftgegner Hartmut Gründler in die Selbstverbrennung. Es war ein Protest gegen die SPD und ihren damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, die zeitgleich ihren Parteitag in Hamburg abhielt.  Heute erinnert eine Gedenktafel an der Kirche an diese Verzweiflungstat, und sie mahnt vielleicht auch daran, welchen  gesellschaftlichen Frieden wir der Entscheidung verdanken, Deutschland aus der Atomkraftnutzung herauszuführen. Heute fordern andere Konflikte die Standhaftigkeit der Gesellschaft heraus, und damit auch dieser Kirche. Ein großes Plakat an der Fassade der Petrikirche mahnt zum „Nein zu Antisemitismus und Terror“. Und ein Denkmal für den von Nazis im KZ ermordeten evangelischen Geistlichen Dietrich Bonhoeffer steht auch im prominenten Schatten dieser Kirche, ein Mahnmal für Standhaftigkeit bis zum eigenen Tod.

In der Kirche wärmte in den Nach-Weihnachtstagen ein besonderer Christbaum mein Gemüt: Er stand nicht, sondern lag. Auf einem querliegenden Stamm türmte sich erstarrtes Wachs, herabgeronnen von Tausenden Kerzen, die man dort erwerben und auf das stetig anwachsende Wachsgebirge kleben konnte, ihrer leuchtenden, mahnenden Vergänglichkeit entgegen.

Das neugotische Kirchenschiff wurde nach dem Hamburger Brand von 1842 errichtet. Gute Lichtführung erzeugt eine Atmosphäre von einladender Wärme.

 

Die Hauptkirche St. Petri hat eine sehr informative Website mit einem virtuellen Rundgang: https://www.sankt-petri.de/turm-kirche-kunst/virtueller-rundgang

Von den Hamburger Hauptkirchen habe ich auch schon die nah am Hafen stehende Hauptkirche St. Katharinen besucht. Weitere Kirchen aus meiner Sammlung #1000Kirchen finden Sie hier. 

 

Dem Krieg gebaut, dem Frieden gewidmet (#51)

Ev. Friedenskirche Ludwigsburg, Stuttgarter Str. 42, 71638 Ludwigsburg

Mein Besuch am 29.Oktober 2023

Ihr Turm ist ein markanter Orientierungspunkt für Autofahrer/innen in und nach Ludwigsburg, der barocken Residenzstadt der württembergischen Könige im Norden von Stuttgart. Die Friedenskirche wendet sich der Straße zu; wer den Turm passiert hat, muss sich links halten, um in das Stadtzentrum von Ludwigsburg zu gelangen, oder nach rechts, um zum Residenzschloss und seinem Park zu gelangen.

Ein weiter Raum, luftig, nicht überladen: Die Friedenskirche in Ludwigsburg war einst Garnisionskirche, heute finden hier auch Konzerte statt.

So habe auch ich schon hundertmal oder öfter die Friedenskirche passiert, jetzt erstmals habe ich sie im Rahmen eines Konzertes auch besucht. Das neobarock gestaltete Gotteshaus ist zu Beginn  des 20. Jahrhunderts als Garnisionskirche errichtet worden, also anfangs ausschließlich für Militärgottesdienste. Die neuere Geschichte Ludwigsburg ist mitgeprägt von der Rolle als Standort für militärische Einrichtungen, auch die amerikanische Besatzungsmacht und später die Bundeswehr nutzten entsprechende Infrastruktur.

Die Friedenskirche beeindruckt mit einem gewaltigen Raumprogramm. Ihre umfassenden Ausmaße ermöglichen, dass die Kirchengemeinde ohne Gemeindehaus auskommt – alles kann in der Kirche untergebracht werden. Foto: Ecelan – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3614904

Nach dem 2. Weltkrieg besann man sich neu, was die ehemalige Garnisionskirche anging. Sie wurde in „Friedenskirche“ umbenannt und ist nun ein ganz „normales“ Gotteshaus für die evangelische Kirchengemeinde. Sie empfängt den Besucher mit einem eindrucksvollen Raumprogramm; zusammen mit den Galerien, Logen und diversen weiteren Nebenräumen finden in der Kirche nicht nur problemlos mehr als eintausend Menschen Platz, sondern auch noch alle Begegnungsräume der Gemeinde. Ein zusätzliches Gemeindehaus ist überflüssig. In der Kirche finden regelmäßig Konzerte und Veranstaltungen aller Art statt, sie ist damit auch ein Mittelpunkt im kulturellen Leben der Stadt. Die Friedenskirche hat eine brocke Ausstattung, wirkte auf mich trotzdem luftig und großzügig, an keiner Stelle überladen. Weitgehend in weiß gehalten, dominiert eine vergoldete Christusfigur den Altarraum und ein träumerisch-buntes Deckenfresko das breite Hauptschiff.

Friedenskirche? Nun ja, ein großer Anspruch. Die Kirchengemeinde will ihm gerecht werden, und lädt z.B. einmal monatlich zu einem Friedengebet auf den Ludwigsburger Marktplatz ein.

 

Eine sehr gute Zusammenfassung zu Geschichte und Ausstattung der Friedenskirche findet sich auf der Website der Kirchengemeinde.

In der Friedenskirche habe ich Ende Oktober 2023 das Oratorium „Messiah“ von Georg Friedrich Händel erlebt und dazu als #Kulturflaneur meine aktuellen, politisch gefärbten Gedanken aufgeschrieben: „Aktuell kein Messias in Sicht“. 

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Einladendes Kleinod zwischen Ruinen (#50)

Marienkapelle Kloster Hirsau, Liebenzeller Str. 25, 75365 Calw

Mein Besuch am 3.November 2023

Ein in jeder Hinsicht harmonischer Ort, der Mut macht zum Innehalten: Die Marienkapelle in Kloster Hirsau.

Selten hat mich eine Kirche so warm und einladend empfangen wie diese. Die vergleichsweise kleine Marienkapelle (die aber dennoch eine vollwertige Kirche ist) am Rande des Geländes der Ruine von Kloster Hirsau nimmt es ernst mit der Idee einer offenen Kirche. Ganz im wörtlichen Sinne ist das evangelische Gotteshaus zumindest im Sommer (April bis Oktober) tagsüber geöffnet. Und im Inneren lädt die Aktion „Amen Atmen“ dazu ein, meditative Momente zu verbringen, zum Beispiel sinnbildlich der Auflösung der eigenen Sorgen zuzusehen.

Ein Beispiel der Stationen, die zum Nachdenken einladen: Wer möchte, kann eine Sprudeltablette in das Wasserglas werfen und zusehen, wie sich nach und nach die Sorgen symbolisch auflösen.

Die Marienkapelle von Hirsau ist ein außergewöhnlicher Ort von Harmonie und Stille, an dem zur Ruhe kommen und einen Moment innehalten kann, wer auch auch immer dazu den Bedarf hat am Rande des Schwarzwaldes. Ihre Baugeschichte reicht zum Beginn des 16. Jahrhunderts zurück, ihre heutige Gestalt erhielt die Kirche nach einem Umbau nach 1888. Umgeben ist die Kirche von der Ruine eines ehemaligen Benediktinerklosters aus dem 11. Jahrhundert, so dass schon der Weg vom Parkplatz zur Kapelle ein ganz besonderer Eindruck ist.

Was bezahlen Menschen für einen Moment der Ruhe? Sie besuchen Achtsamkeitstrainings,  buchen Yoga-Kurse, laden sich Meditations-Apps herunter oder reisen zu Klosteraufenthalten ohne Handy. Alles das mag sinnvoll sein. Ein weiteres, ganz günstiges Angebot ist ein besuch in dieser Kirche. Ein kostenloser Ort zum Innehalten, zum Hineinhören in sich selbst – und deshalb eine würdige #50 meiner Sammlung.

Zur Website von Kloster Hirsau mit historischen Daten zur Marienkapelle:  https://www.klosterhirsau.de/erlebnis-kloster/kloster/gebaeude/peter-und-paulskloster/marienkapelle

Die meditative Einladung der ev. Landeskirche zum Innehalten findet man auch auf dieser Website: https://amen-atmen.de/

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Zerrissenes Geburtstagskind (#49)

Evangelische Stiftskirche, Stiftstraße 12, 70173 Stuttgart

Mein Besuch am 13. September 2023

Ein Sammelsurium der Baustile und Ausstattungselemente erwartet den Besuch der Stiftskirche in Stuttgart, der Hauptkirche im Zentrum der Stadt.

Es ist schwer, über diese Kirche zu schreiben, und vielleicht deshalb habe ich es lange nicht getan. Die Evangelische Stiftskirche im Zentrum Stuttgarts ist in der tief-protestantischen Stadt so etwas wie die Hauptkirche, aber man muss sie suchen; kein prächtiger Platz gruppiert sich um sie, kein dominanter Turm prägt das Stadtbild. Immerhin ist sie im Regelfall täglich von 10 bis 16 Uhr geöffnet und lädt zu einem Besuch ein, eine meditative Insel im materialistischen Umfeld schicker Markenshops.

Es ist auch schwer, über diese Kirche zu schreiben, weil sie so geschunden ist. Seit 1000 Jahren wird am Platz dieser Kirche gebetet, schreibt die lesenswerte und einladend gestaltete Webseite der Kirchengemeinde. Anfang Oktober feiert die Kirche ihr 700-jähriges Jubiläum, und bezieht sich dabei auf die Errichtung des frühgotischen Chorbaus, der im Wesentlichen bis heute an dieser Stelle steht.

Seither ist die Kirche mehrfach erweitert, zerstört, umgebaut, ausgebombt, niedergebrannt, eingestürzt – und anders als in anderen Städten hat man nicht den alten Bau immer und und immer wieder neu errichtet, oder sich zu einer vollständigen Neuerrichtung entschlossen.  Jedes Mal haben sich die Herrscher und Bürger den dann gerade aktuellen Gegebenheiten und Bedürfnissen angepasst, das Vorgefundene  ergänzt und erweitert. Jede Generation, die an dieser Kirche herumbastelte, hatte für sich gesehen, dafür sicherlich gute Gründe.

Als Besucher heute ging es mir aber so, dass dabei ein Sammelsurium herausgekommen ist, ein zerrissenes Gebäude, dessen Türme nicht zueinanderpassen und dessen Raumwirkung unter den vielen Kompromissen leidet. Beispielswiese ist schon seit Jahrhunderten der Chorraum seitlich gegenüber dem Hauptschiff verschoben, vermutlich deshalb, weil die engstehende Umgebungsbebauung nichts anderes zuließ. Zugangstore wurden verändert und verschoben, die im Krieg zerstörten Fenster in verschiedensten Stilen ersetzt. Die Harmonie der Raumwirkung leidet unter diesen Spannungen, und auch die vor 20 Jahren eingebauten Akustiksegel stellen ein weiteres, fremdartiges Element in diesem komplexen Bau dar, auch wenn sie für die Kirchenmusik ganz sicher unverzichtbar sind.

Für mich ist diese Kirche ein Sinnbild für gesellschaftliche Pragmatik: Die württembergische Seele hat hier klug, engagiert und immer auf den bewussten Einsatz der Mittel achtend eine Kirche über Jahrhunderte erhalten und immer wieder neu gestaltet. Das ist ehrenwert und auf gewisse Weise auch sympathisch, vielleicht sogar vorbildlich. Ein großer Wurf, ein kühner Plan, eine gestalterische Vision freilich, die ist dabei nicht herausgekommen.

 

Mehr über die Baugeschichte der Stiftskirche bei Wikipedia.

Die Website der Kirchengemeinde ist neu und sehr informativ und ansprechend gestaltet. Dort findet sich auch das Jubiläumsprogramm zum 700. „Geburtstag“ der Kirche vom 6. bis 8. Oktober 2023.

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Die Barocke am Birnbaum (#48)

Wallfahrtskirche Maria Birnbaum,  Maria-Birnbaum-Straße 51, 86577 Sielenbach

Mein Besuch am 7. Juli 2023

Auch heute steht ein Birnbaum vor der Kirche „Maria Birnbaum“. Warum sie nach einem solchen Baum heißt, ist eine fromme Geschichte. Foto: GFreihalter – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19268701

 

Seit Jahrzehnten fahre ich an diesem Schild vorbei. Es ist braun und steht an der Autobahn zwischen Augsburg und München, eine sogenannte „Touristische Unterrichtungstafel“. „Wallfahrtskirche Maria Birnbaum“ steht darauf, und seit ich vorbeifahre, habe ich mich gefragt, was das für ein merkwürdiger Name für eine Kirche ist. Zumal ich selbst im Schatten großer Birnbäume aufgewachsen bin.

Nun endlich bin ich einmal abgebogen. Ich hatte Zeit und Lust, die Maria und den Birnbaum kennenzulernen. Über Landstraßen, hindurch zwischen saftigen Wiesen und hinweg über sanfte Hügel dauerte es nochmal zehn Kilometer, aber dann trat tatsächlich und überraschend nach einer Biegung am rechten Straßenrand eine prächtigen Barockkirche am Ortsrand des bayrische-schwäbischen Dorfes Sielenbach ins Bild. 350 Jahre ist der Bau in seinen Grundzügen alt, seine Geschichte noch älter. Ein „Verperbild“, also eine fromme Mariendarstellung, sei an dieser Stelle um 1600 geschnitzt und dann im Dreißigjährigen Krieg zerstört worden – oder eben auch nicht. Ein Dorfbewohner habe die schon reichlich angegriffene Holzskulptur im Moor gefunden, restauriert, und in einen hohlen Birnbaum hinein aufgestellt. Dort, so erzählt die Legende, sei es dann zu überraschenden „Wunder“-Heilungen gekommen, und der Baum und die Maria habe sich immer mehr zu einem Wallfahrtsort entwickelt.

Die Kirche hat eine lichte, helle Raumwirkung und ist trotz der Barockausstattung nicht überladen. Sie wird überspannt von einer prächtigen Kuppel.

An der Stelle des alten Baumes wurde dann die Kirche errichtet, um dem Ansturm der Gläubigen ein stolzes Ziel zu geben. Ein Stück vom Birnbaum ist auch heute noch hinter dem Hauptaltar zu bestaunen. Mich hat das Stück Holz wenig beeindruckt. Die Kirche selbst aber ist groß und weiträumig, nicht überladen, still und voller Frömmigkeit, die zu respektieren mir mehr ist als eine Pflicht, auch wenn ich selbst nicht so glauben kann.

 

Mehr über Maria Birnbaum auf der Website des Deutschen Ordens, der die Kirche betreut:  https://www.maria-birnbaum.de/ oder auch auf Wikipedia 

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Das romanische Chamäleon (#47)

Kaiser- und Mariendom zu Speyer, Domplatz, 67346 Speyer

Mein Besuch am 26. Juni 2023

Die Last der Jahrhunderte – Detailausschnitt aus der Krypta des Doms von Speyer (Grabplatte von Rudolf v. Habsburg, gest. 1291)

Ein weiter, freier, schattenloser Platz liegt vor dem Dom von Speyer, und an diesem hochsommerlichen Junitag glüht schon am Vormittag das Pflaster. Der Dom verspricht Abkühlung, und das in seinen Ursprüngen fast 1000 Jahre alte Bauwerk hält, was der erhitzte Besucher erhofft. Schon die Vorhalle mit gewaltigen, goldbesetzten Mosaiken bereitet vor auf ein Bauwerk, das mehr stummer Zeitzeuge ist als lebendige Kirche, was dieser gewaltige Raum schon aufgrund seiner schieren Größe gar nicht sein kann. (Womit kein Urteil gesprochen sein will über die Kirchengemeinde selbst, die diesen Dom nutzt; es ist eine Besucherperspektive, die ich hier einnehme).

Zur Stadt hin liegt vor dem Dom einer weiter, schattenloser Platz – auf den anderen drei Seiten umgibt das Bauwerk ein grüner Stadtpark.

Der Dom zu Speyer ist die größte erhaltene romanische Kirche der Welt. Der Bau begann um 1025, erstmals als vollständige Kirche geweiht wurde die Kirche 1061. Seither hat sie alle Schicksale durchlebt, welche die europäische Geschichte bereithält: Machtkämpfe und Besitzerwechsel, Brände und Kriege, Plünderungen, bauliche Veränderungen und Wiederherstellungen. Der Dom wurde als Viehstall benutzt und in seiner Gruft wurden Kaiser bestattet.

Wer die Kirche heute betritt, findet sich in einer romanischer Illusion vor – himmelstrebend wuchtig, demutspendend hoch, glattgeputzt und scheinbar unverfälscht, so findet sich romanischer Baustil selten. Die allermeisten Elemente aus anderen Epochen wurden entfernt, die Kirche wurde „re-romanisiert“, was Kunsthistoriker durchaus auch kritisieren. Mir ist diese Kritik egal, der Besuch dieses weitgehend schmucklosen Mammutbaus ist mir wie eine Meditation: Nur Stein und Zeit ist hier zu spüren, kaum Schmuck und Tand.

Wo Schmucklosigkeit zum Konzept gehört, wird das Licht zum zentralen Gestaltungsmoment.

Eine Stunde war ich in dieser Kirche, habe das Licht auf mich wirken lassen, die Weite und Höhe gespürt, die Schattenwürfe bewundert und bin herabgestiegen in die Krypta, die hier ein Ausmaß hat, um das manche Dorfkirche beneidet würde. Die Kaiser-Särge liegen dort grau und stumm, längst vergangen, zu Staub geworden ist ihr Inneres.

Dort unten, tief unter der Kirche, ist so so kühl, dass den andächtig Staunenden beim Heraufsteigen in den großen alten Kirchenraum das relative Gefühl von angenehmer Wärme empfängt, wo es doch das Versprechen der Kühle war, das dort hinein gelockt hatte. Genau in dieser chamäleonhaften Vielschichtigkeit  habe ich den Dom erlebt: Ein aufgeräumter Ort des zeitlosen Willkommens, eine Einladung zur Annäherung an die Illusion von Dauerhaftigkeit. Ein Ort, der spüren lässt, dass vieles, das mich umgibt, so viel größer ist als mein eigenes, so begrenztes Dasein.

 

Der Dom zu Speyer ist Weltkulturerbe und es gibt über ihn Literatur ohne Ende. Ich empfehle für einen Überblick die Website der Kirchengemeinde, die auch einen virtuellen Rundgang anbietet: https://www.dom-zu-speyer.de/

Die drei deutschen Kaiserdome sind Mainz. Worms und Speyer. Dem Dom in Main habe ich vor einem Jahr besucht: https://vogtpost.de/dom-mainz/31/07/2022/

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