Diese Geschichte beginnt im antiken Rom, heiß war es dort und der Staub machte durstig. Sie wird erzählen von vierfachem Mord, florierendem Leichentourismus im Mittelalter, sie wird Station machen bei den Rosenplantagen in Kenia und schließlich an einem Münchner Blumenstand enden. Kann das gelingen? Lesen Sie selbst!
Cratons Verzweiflung war so groß, …
Craton war ein berühmter Mann in Rom. Als Redner verdiente er sein Geld mit Debatten-Auftritten, mit feurigen Reden und klarer Sprache, mit schneidigem Argument und geschliffener Zunge. Menschen kamen zu ihm und bezahlten dafür, von ihm unterrichtet zu werden, wenn sie wirkungsvoll sprechen wollten. Ja, Craton war von den Göttern verwöhnt, aber er war trotzdem verzweifelt. Denn sein einziger Sohn war krank.
Und was für eine merkwürdige Krankheit der hatte; noch nie hatte Craton so etwas gesehen. Tagelang konnte er sich völlig normal verhalten. Dann half das Kind seiner Mutter bei der Pflege der Ziegen im Hof, fegte den Staub der Straße von den Eingangsstufen der Villa. Packte seine Sachen zusammen in den Beutel, wenn es zur Scola ging, lernte fleißig.
Und dann plötzlich war er wie besessen, als hätten die bösen Götter Macht über ihn ergriffen. Dann fiel er zu Boden, zitterte und schäumte aus dem Mund, krampfte und spuckte, die Zähne klapperten schaurig aufeinander, alle seine Glieder zuckten. Das Inferno der Besinnungslosigkeit dauerte eine Weile, nichts half gegen dieses elende Spektakel, kein Kraut und kein Zureden. Schließlich, eine Ewigkeit später, zog sich sein Sohn jedes Mal am Boden erschöpft zusammen, lagerte und weinte, sein schmächtiger Körper gezeichnet mit Schrammen und Wunden, die sich das Kind im teuflischen Taumel selbst beigebracht hatte; im Schlagen und Zucken gegen die Wände, gegen die Tische und Stühle, wenn man sie nicht schnell genug aus dem Weg geräumt hatte.
… dass er Valentin um Hilfe bat, …
Craton hatte schon viel gesehen; er hatte Verletzte verbunden, er war bei Sterbenden gewesen, er hatte schreiende Mütter bei der Geburt erlebt – aber diese krampfende Not seines Sohnes, das war etwas anderes, etwas Dämonisches, Grauenvolles. Eine Strafe der Götter. Keiner der Weisen und der Druiden und keines der Kräuterweiber wusste Rat gegen diesen Teufel, der da herrschte und wütete in seinem Sohn.
Nur von einem Christen in Terni hatte Craton gehört, der Wunder wirken sollte in der Heilung kranker Kinder. Christen waren nicht wohlgelitten im Reich des Kaisers Aurelian, aber Craton wollte nichts unversucht lassen. Einige Tagesmärsche musste der Priester aus Terni zurücklegen durch Hitze und Staub, vorbei an den finster dreinschauenden Milizionären des Kaisers, immer in der Angst, verraten zu werden, aufzufallen, anzuecken.
Schließlich erreichte der Priester das stolze Rom und suchte die prächtige Villa des Craton auf. Es lebten schon viele dort, Frauen, Gäste, Schüler. Jeden Tag gab es im Atrium ein großes Mahl, es fehlte nicht an Essen und Wein.
… und der bezahlte mit seinem Leben.
Valentin hieß der fromme Mann aus der Fremde, und noch am ersten Abend machte er sich bekannt mit dem kranken Sohn, erlebte bald einen seiner schaurigen Anfälle, durchlitt mit ihm die Qualen der Krankheit, die wir heute Epilepsie nennen. Wir wissen nicht, welche Wundermittel der christliche Priester eingesetzt hat. Die Legende erzählt aber, dass ihm die Heilung von Cratons Sohn gelungen sei, und dass ihm das nicht nur die Bewunderung des glücklichen Vaters, sondern auch die seiner weiteren Gäste und Schüler eingebracht hat.
Für den frommen Valentin war diese Popularität allerdings tödlich. Zurück in Terni wurde er von der römischen Staatsmacht verhaftet, gefoltert und am 14. Februar 269 hingerichtet. Drei von Cratons Schülern ereilte das gleiche mörderische Schicksal, weil sie sich – beeindruckt von seiner Heilkunst und seinem Glauben – um seine christliche Bestattung gekümmert hatten.
Soweit das überlieferte Geschehen vor fast 1800 Jahren. Die Heilkunst des Valentin ist inzwischen in den Hintergrund getreten, denn dem gleichen Bischof von Terni wird auch nachgesagt, dass er Liebespaare christlich getraut habe und ihnen dabei Blumen geschenkt haben soll. Die Quellenlage für solche Wohltaten ist mindestens so dürftig wie die für die Geschichte von Craton und seinem Sohn.
Heute verehren wir mit Rosen aus Kenia …
Aber was soll´s: Seit etwa siebzig Jahren hält – ausgehend von den USA – die Legende vom heiligen Valentin, der Ehen stiftete und Blumen verschenkte, der Blumenindustrie dafür her, am 14. Februar einen Vermarktungstag für Geschenke der Liebe zu veranstalten.
Die meisten Rosen, die an diesem Tag in Deutschland verschenkt werden, kommen übrigens aus Kenia, fliegen also gut gekühlt übers Meer in unsere Blumenläden, zuvor geerntet von Menschen, deren archaische Lebensbedingungen an das alte Rom erinnern. Gewächshäuser, so groß wir Fußballfelder, entziehen der natürlichen Vegetation das rare Wasser, Pflanzenschutzmittel für die teuren Rosen verseuchen die einheimischen Böden. Egal, Rosen müssen her, Rosen für die Liebe, Rosen im Namen eines Bischofs.
Und wo ist der Bischof der Liebe abgeblieben? Nicht weniger als 15 Orte in Europa nehmen für sich in Anspruch, Reliquien des Heiligen Valentin zu beherbergen. Eine Kirche am Ort des tragischen Enthauptungsgeschehens in Rom ist dabei, aber auch der Stephansdom in Wien, Kirchen in Polen, Irland und Großbritannien. In der langen Liste steht auch die Kirche St. Michael in Krumbach, ziemlich in der Mitte zwischen Stuttgart und München, im bayerischen Schwaben. Zu sehen ist dort ein liegendes Skelett hinter barockem Glas; anlassbezogen, aber geschmacklich diskussionswürdig, geschmückt mit vielen Blumen, roten Herzen und einer roten Tuchbahn mit rosa Herzen, die vom Seitenaltar herabhängt.
… auch einen Valentin in Schwaben.
Sollte er das wirklich sein, der berühmte Liebesbote, der Namensgeber des Valentinstages? Beerdigt in der schwäbischen Provinz? Nein, meinte zum Missmut des Krumbacher Hotel- und Gaststättenvereins schon vor 15 Jahren Dr. Walter Plötzl, emeritierter Professor für Volkskunde gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“. Zwar handele es sich bei der Krumbacher Reliquie ausweislich der mit der Leiche eingeführten Papiere tatsächlich um einen „Valentin“, aber ziemlich sicher nicht um den von Terni. „Das ist ein Katakombenheiliger“, winkte damals der Experte gelangweilt ab. Massenhaft wurden vor 500 Jahren antike Grabanlagen in Rom – die Katakomben – geöffnet und die dort verwahrten Knochen – viele davon vielleicht auch christliche Märtyrer – in die ganze damals bekannte Welt verbracht.
Der dritte wahre Valentin braucht keine Rosen
Die Spur der kenianischen Rosen zum Valentinstag führt auf der Suche nach einem wahren Valentin schließlich nach München. Februarsonne glänzt, die Glocken klingen, die Weißwürste dampfen im Sud. Der Markt erwacht. Die resolute Inhaberin des Blumenstandes am Viktualienmarkt – nennen wir sie „Resi“ – macht sich keine Gedanken über die Herkunft ihrer Rosen. „Vom Großmarkt“, antwortet sie lapidar auf entsprechende Fragen. Früh am Morgen war sie schon dort gewesen in den gekühlten Hallen am Stadtrand, hat sich eingedeckt für den Verkaufshype am Valentinstag.
Die Frage nach dem Namensgeber dieses rosengeschwängerten Geschäftstages kann die Resi nicht wirklich aus der Ruhe bringen. „Was weiß ich, irgendein Heiliger halt“, ruft Sie pragmatisch-katholisch dem Besucher zu und bindet einen Rosenstrauß mehr. Und Recht hat sie, die Resi: Was soll sie einen echten Valentin suchen, da er doch um die Ecke steht? Wenige Schritte weiter plätschert das Brunnendenkmal für jenen dürren Mann, der in München als einziger wirklicher Valentin verehrt wird, und zwar das ganze Jahr über.
Karl Valentin, der unvergessliche Schauspieler, der viel mehr war als ein Komiker, sondern auch ein Philosoph, ein Dadaist, ein Vorreiter des surrealen Humors, dem in dieser Stadt nicht nur das Denkmal auf dem Viktualienmarkt, sondern sogar ein ganzes Museum gewidmet ist. Wer so einen Valentin hat – was soll er nach einem Heiligen suchen? „Ich bin kein direkter Rüpel“, meinte Karl Valentin über sich selbst, „aber die Brennnessel unter den Liebesblumen.“
Mehr über die Geschichte von Valentin, Bischofs von Terni, und seinen Tod im Jahr 269 hier:
https://www.heiligenlexikon.de/BiographienV/Valentin_von_Terni.htm
Die Bedingungen, unter denen Rosen für den Valentinstag in Kenia gezüchtet werden, gibt es hier mehr zu lesen: https://www.zeit.de/wissen/2010-02/valentinstag-rosen-afrika/komplettansicht
Woher jener Valentin stammt, der in Krumbach (Schwaben) zu besichtigen ist, ist hier nachzulesen:
https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Wo-der-Heilige-Valentin-liegen-soll-id2756896.html
Und schließlich der Münchner Künstler Karl Valentin (1882 bis 1948), der eine eigene sehr informative Website hat: http://www.karl-valentin.de/
Weitere Geschichten als #Kulturflaneur finden Sie hier.
Die schwäbische Valentins-Kirche St. Michael in Krumbach ist Nr. 27 in meiner Sammlung #1000Kirchen.