Das Fachwerk-Wunder von Jawor (#58)

Friedenskirche „Zum heiligen Geist“, Jawor (Polen), ehem. Jauer

Mein Besuch am 21. Mai 2024

Eine solche Kirche hatte ich noch niemals zuvor gesehen. Das evangelische Riesenbauwerk aus Holz und Lehm steht zusammen mit einem weiteren solchen Wunderwerk in Świdnica (Polen, ehem. Schweidnitz) auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Im tiefkatholischen Polen ist der spektakuläre Bau kaum ausgeschildert. Als ich ihn, etwas versteckt hinter Bäumen in einem Park – dem ehemaligen Friedhof -, endlich erreicht und entdeckt hatte, deutete nichts auf die sinnliche Überwältigung hin, die mir gleich bevorstand.

Ein Kirchenraum ohne Beispiel: Bis zu 6000 Menschen konnten hier einem Gottesdienst beiwohnen, errichtet aus Holz und Lehm, mit mehr als 200 Motivtafeln ausgemalt.

Dass diese Kirche entstanden ist, gleicht einem Wunder; dass man es heute noch besuchen kann auch. Ihre pure Existenz gibt Mut, auf Frieden zu hoffen, auch wieder in heutigen Zeiten. Die europäische Ordnung lag in rauchenden Trümmern, als der Dreißigjährige Krieg 1648 endete. Die Herrschenden und erst Recht die Bevölkerung waren müde vom Schlachten,  Brandschatzen und Morden. Mit den Friedensverträgen von Osnabrück und Münster und einigen nachfolgenden Vereinbarungen wurden Regelungen getroffen, die ein halbwegs friedliches Miteinander der europäischen Völker und auch der beiden christlichen Konfessionen in Europa gewährleisten sollten.

Eine davon bestand darin, dass im zum österreichischen Herrschaftsbereich gehörenden Schlesien die evangelischen Christen alle bestehenden Gotteshäuser den Katholiken zurückzugeben hatten. Im Gegenzug erlaubte der König der evangelischen Bevölkerung in Schlesien, drei neue Kirchen (zwei davon bestehen noch, nämlich diese hier in Jawor und in Świdnica) zu errichten. Aber unter welchen Bedingungen! Sie mussten innerhalb eines Jahres fertig sein, sie mussten selbst finanziert werden, sie mussten mindestens einen Kanonenschuss außerhalb der Stadtmauern liegen, und sie durften nicht aus Steinen gebaut werden, sondern nur aus Holz und Lehm und Stroh.

Nur ein Jahr durfte der Bau des Riesen-Gotteshauses dauern, und es steht noch bis heute.

Unter diesen Bedingungen errichteten die evangelischen Christen in Jauer ein Gebäude, das fast 45 Meter lang und mehr als 15 Meter hoch ist. Vier umlaufende Emporen-Reihen und das Kirchenschiff selber boten und bieten bis heute Platz für fast 6000 Menschen. Über und über ist diese Kirche ausgemalt, rund 200 Motivtafeln schmücken den hohen und weiten Raum, auf eine barocke Kanzel richtet sich die Kirche aus. Der Andrang in das Gotteshaus war im 17. und 18.  Jahrhundert so groß, dass an Sonntagen bis zu sechs Gottesdienste gefeiert werden mussten, um allen Gläubigen gerecht zu werden.

Alleine diese Geschichte ist unglaublich, aber auch, dass alles das (ab 1991 zehn Jahre lang renoviert mit tatkräftiger deutscher Unterstützung) noch vorhanden ist. Der bröckelnde, und doch so zähe Riesenbau aus Holz und Lehm (nach 1707 ergänzt um einen steinernen Kirchturm) hat alle Unbill der Geschichte überlebt, zwei Weltkriege, Bombennächte und die fast vollständige Vertreibung der evangelischen (weil deutschen) Bevölkerung nach Kriegsende 1945.

Der gemauerte Turm kam erst später hinzu.

Ich habe dieses Wunder durchmessen, durchschritten, den staubigen Duft der Balken und Bänke eingesogen, fassungslos gestaunt über die Wucht der mehr als 350 Jahre alten Volkskunst, die mich hier überwältigte. Vierzig Gläubige umfasst die evangelische Kirchengemeinde von Jawor heute, und noch immer hält ihr Kirchenraum Platz vor für Tausende von Besuchern. Ein paar mehr Schilder im Ort täten gut, um sie alle dorthin zu locken, und auch eine bessere Platzierung in den Reiseführern. Seht her, erzählt diese außergewöhnliche Kirche, seht her, was menschlicher Wille in kurzer Zeit zu schaffen vermag.

 

Mehr über die Baugeschichte der Friedenskirche von Jawor finden Sie hier.

Weitere Kirchen aus meiner Sammlung #1000Kirchen kann man hier nachlesen.

Der Besuch in Jawor war Teil einer Rundreise durch Polen, vor allem durch die ehemals deutschen Gebiete. meine Eindrücke habe ich auch hier zusammengefasst. 

 

 

 

Die beängstigende Strenge von Maulbronn (#39)

Klosterkirche Maulbronn, Klosterhof 10, 75433 Maulbronn

Mein Besuch am 23. Oktober 2022

Der ganze Zauber von Maulbronn zeigt sich im Kreuzgang mit dem luftig leichten Brunnenhaus, dessen Plätschern dem Zwitschern der Vögel Konkurrenz macht. Hier ist nichts streng, alles lädt zum meditativen Verweilen ein.

Ein Weltkulturerbe! Über das Zisterzienser-Kloster von Maulbronn ist alles gesagt und geschrieben. Die Anlage duckt sich in die Hügel, der Weinbau leuchtet im herbst in goldenen Farben über den Friedhof hinweg zum uralten Gemäuer, das den weiten Klosterhof umgibt. Es ist ein harmonisch-weiter Ort, auch ein sehr weltlicher Ort mit kleinen Restaurants, Andenkenläden, einem Museum, einem Buchgeschäft.

Der engere Klosterbereich mit der Kirche und dem Kreuzgang begrenzt und dominiert den Klosterhof mit verheißungsvoller Gotik. Die Kosterkirche von Maulbronn ist im Sommer heute noch das Gotteshaus für die evangelische Kirchengemeinde, aber auch immer wieder von Kerzenlicht magisch durchschimmerter Ort für Konzerte. Im Winter ist die Kirche zur Nutzung zu kalt; beim Besichtigungsbesuch im Oktober (nur gegen Eintritt) konnte ich schon einen Vorgeschmack davon erleben. Die Grundmauern der Kirche sind uralt, reichen zurück auf den ersten romanischen Bau nach der Klostergründung von 1113; ihre äußere Anmutung von heute einschließlich einer wunderschönen Gewölbedecke bekam sie im 14. Jahrhundert. das Kirchenschiff ist unterteilt durch einen wuchtigen romanischen Lettner, der eine unüberwindbare Raum- und Sichtbarriere bildet zwischen dem Kirchenschiff für die Laien und dem hölzernen Gestühl, das aus dem 15. Jahrhundert stammt und einst mehr als 90 Mönchen Platz bot Vor dem Lettner mahnt auf der Laienseite ein gewaltiges Kruzifix, das 1473 aus einem einzigen Sandsteinblock hergestellt wurde.

Die Strenge der Klosterkirche schüchtert ein. Der romanische Lettner trennte einst die Laien von den Mönchen. Er ist eine wuchtige Mauer zwischen Geistlichkeit und Gläubigen, war genau so gedacht und wirkt auch heute noch so.

Ganz im Gegensatz zur einladenden Weite der Anlage hinterließ bei mir der Besuch in der Kirche einmal mehr (denn ich war schon mehrfach dort) einen Gesamteindruck von großer, beängstigender Strenge. Entsprechend eingeschüchtert bin ich aus dieser kalten, hohen Kirche herausgetreten, hinein in den so einladenden Kreuzgang mit grünem Innenhof, vorbei am luftigen Brunnenhaus, durchzwitschert von fröhlichen Vögeln.

Das Kloster war seit 1556 (und bis heute) auch ein evangelisches Internat. Johannes Kepler, Eduard Mörike, Friedrich Hölderlin, Hermann Hesse haben dort gelernt. Hesse hat darüber ein ganzes Buch geschrieben („Unterm Rad“) und dabei vor allem seine Last mit der strengen Klosterschule geschildert. Ganz gewiss war er auch oft in dieser Kirche; und dieser Raum wird seine Leiden nicht verringert haben, fürchte ich.

Kloster Maulbronn ist eine überaus eindrucks- und stimmungsvolle Anlage und daher jeden Anreiseweg wert. Eine sehr gute Zusammenfassung finden Sie hier: https://www.kloster-maulbronn.de/wissenswert-amuesant/dossiers/weltkulturerbe-maulbronn

Weitere Kirchen aus meiner Sammlung #1000Kirchen finden Sie hier. 

 

 

Die Orgel im Schwalbennest (#31)

Die Glasfenster im Dom von Regensburg entstanden über viele Jahrhunderte und tauchen den strengen Bau in buntes Licht.

Dom St. Peter, Domplatz 1, 93047 Regensburg

Mein Besuch am 5. Mai 2022

Die Orgel steht nicht auf der Empore, wo sie doch eigentlich hingehört. Sie steht auch nicht (nur) im Altarraum, wo sie praktisch ist. Sie hängt an der Wand!

Der Regensburger Dom ist ein mächtiges gotisches Bauwerk, fast so groß wie der Dom von Köln, seine beiden Türme überragen und prägen das Stadtbild des mittelalterlichen Weltkulturerbes an der Donau. Wunderbar stimmig scheinen die hohen Wände des Baus durch die engen Gassen, die ihn umgeben; der Besucher fühlt sich wie in Frankreich. Die Baugeschichte von St. Peter zieht sich über die Jahrhunderte hin, beginnt im 13. Jahrhundert und endet nicht mit der Vollendung der markanten Türme Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Dom dieser Größenordnung ist nie „fertig“, sondern muss ständig renoviert und in Stand gehalten werden.

Das Innere des gewaltigen Baues ist streng und farbig; aber das ist kein Widerspruch! Die gotische Strenge ist Ergebnis eines radikalen Rückbaus aller barock-goldenen Elemente, die das Innere des Raumes einmal geprägt haben muss. Man kann sich das kaum vorstellen, wenn man heute zwischen den gewaltigen Säulen herumwandert. Der Mode folgend, wurde im 19. Jahrhundert im Dom fast alles entfernt, was an Stuck und Schnörkeln vorhanden war. Mittelalterliche Glaskunst ist erhalten, der bayerische König Ludwig I. stiftete dazu bunte Glasfenster. Und kluge Ergänzungen kamen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinzu. Entstanden ist so ein gläsernes Gesamtbild, dessen Schein jetzt auf die streng-grauen Pfeiler und Wände fällt. Ein wunderbares Licht! Ich konnte es auf mich wirken lassen während einer schönen, klugen, kurzen Orgel-/Text-Meditation, die im Dom fast täglich zur Mittagszeit angeboten wird.

In schwindelerregender Höhe schwebt die moderne Hauptorgel von 2009 im Querschiff – wie ein Schwalbennest.

Sehr beeindruckt hat mich die moderne Hauptorgel, die erst 2009 eingebaut wurde und jetzt wie ein Schwalbennest in der Höhe des Querschiffs hängt, scheinbar unerreichbar für Menschenhand. Dieses Instrument ist die größte freihängende Orgel der Welt. Mehr als 36 Tonnen wiegt sie, allein die Stahlkonstruktion, die sie trägt, hat angeblich ein Gewicht von sieben Tonnen. Einem Konzert mit diesem Instrument gilt meine nächste Reise nach Regensburg!

Informationen zum Dom St. Peter in Regensburg finden Sie hier: https://domplatz-5.de/dom/

Weitere persönliche Eindrücke aus von mir besuchten Kirchen finden Sie in meiner Sammlung #1000Kirchen.