Hurra, die Ampel ist weg! – Ein Szenario

Hurra, die Ampel ist weg! Und wie geht es dann weiter?

Es begann damit, dass sich Mitte Februar 2024 die Generalsekretäre der mitregierenden FDP und der oppositionellen CDU weitgehend gleichlautend äußerten. Die FDP strebe eine gemeinsame Regierung mit der Union an, sagte ihr Generalsekretär, das sei besser für das Land als die derzeitige Rollenteilung, nach der die FDP ihren Regierungspartnern Grüne und SPD immer die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft erklären müsse. Die Union sei zur Übernahme der Verantwortung bereit, antwortete sein Kollege der CDU, sie habe das bessere Personal und die überzeugenderen Konzepte für die schwierigen Zeiten, in denen man derzeit feststecke und noch dazu schlecht regiert würde. Die bayerische CSU hatte sich ohnehin bereits seit längerem für Neuwahlen ausgesprochen.

„Lieber nicht regieren, als schlecht.“

FDP und Union ließen sich in ihren Überlegungen nicht davon beirren, dass sie nach allen Umfragen weit von einer gemeinsamen Mehrheit im Parlament entfernt wären. In Berlins Hinterzimmern breitete sich rasend ein Fieber aus. Die Union witterte die Chance zur schnellen Machtübernahme, zumal ihrem Vorsitzenden Merz bei einer vorgezogenen Bundestagswahl die Rolle des Kanzlerkandidaten kaum zu nehmen wäre. Auch die CSU hatte ein Interesse an baldigen Wahlen. In diesem Fall würde eine schon beschlossene Änderung des Wahlrechts (von der die CSU sich bedroht fühlte) nicht mehr rechtzeitig in Kraft treten. Eine dazu anhängige Klage beim Bundesverfassungsgericht würde nicht schnell genug entschieden werden.

In der FDP schließlich, gefangen in blanker Verzweiflung ob ihrer stabil unter fünf Prozent  liegenden Umfragewerte, wuchs die Überzeugung, mit einem zuspitzenden Wahlkampf könne man den eigenen Untergang eher abwenden als durch einen Verbleib in der ungeliebten „Ampel“. „Lieber nicht regieren, als schlecht regieren“, sagte ihr Vorsitzender.

Im Land herrschte zudem zweifellos allgemeiner Unmut über die „Ampel“. Es war schick, das Dreierbündnis unter Führung des wortkargen Kanzlers Scholz zu beschimpfen. Bauern blockierten Straßen und Plätze mit sperrigen Traktoren, Wirtschaftsverbände schrieben Brandbriefe, Gewerkschaften streikten allerorten. Die Stimmung war schlecht, und FDP und Union hofften, davon politisch zu profitieren.

Die FDP fand alsbald im Frühjahr 2024 einen Anlass – die sinkende Konjunkturprognose und den Streit darüber, wie ihr ohne neue Schulden zu begegnen wäre -, um aus der ungeliebten Ampel-Koalition auszusteigen.

Die FDP-Minister erklärten ihren Rücktritt

Die FDP-Minister erklärten also mit ernsten Mienen und düsterem Verweis auf die schwere Verantwortung für das Land ihren Rücktritt. Der amtierende Bundeskanzler Scholz stellte im Bundestag die Vertrauensfrage, verlor sie erwartungsgemäß, da die FDP-Abgeordneten gegen ihn stimmten. Der Bundespräsident löste entsprechend dem Grundgesetz den Bundestag auf. Im Juni 2024, zeitgleich zur Europawahl, sollte es Neuwahlen geben. Die Bevölkerung sagte im „Politbarometer“ zu 70%, dass sie das gut findet.

Nun war die Ampel erst einmal weg. SPD und Grüne regierten bis zur Wahl ohne Mehrheit geschäftsführend weiter, und das Volk staunte, dass es plötzlich zwischen den Regierenden und ihren Parteien kaum noch Streit zu vermelden gab. Beide Parteien profitierten davon in den Umfragen. Insgesamt aber überschattete der Wahlkampf die Tagespolitik: Der amtierende Kanzler versicherte dem Volk, dass nur unter seiner Führung in der aktuellen Welt voller Krisen mit Verlässlichkeit zu rechnen sei. Die Plakate zeigten den Kanzler mit nur drei Worten: „Maß und Mitte“. Und siehe da: Ein wachsender Teil der Bevölkerung begann ihm wieder zu vertrauen, obwohl sie ihn noch wenige Wochen zuvor mit minimalen Zustimmungswerten in Umfragen abgestraft hatten.

Ein ruppiger Wahlkampf nach amerikanischem Vorbild

Die Union konzipierte einen ruppigen, zuspitzenden Wahlkampf nach amerikanischem Vorbild. Die Parteien der „Ampel“-Regierung seien allesamt unfähig und in ihrer Inkompetenz eine Gefahr für das Land. In den Umfragen konnten CDU und CSU mit dieser Strategie auch noch zwei Wochen vor der vorgezogenen Bundestagswahl ihren Abstand von etwa zehn Prozentpunkten vor der Partei des Kanzlers, der SPD, verteidigen. In den persönlichen Sympathiewerten bleib der Kanzlerkandidat Merz allerdings zurück, vor allem bei Frauen und jungen Menschen war er nicht besonders beliebt.

Die FDP kämpfte um ihr politisches Überleben. Sie erstritt sie sich mit einem klaren Bekenntnis gegen neue Schulden und für sinkende Steuern in den Umfragen einen halbwegs stabilen Umfrageplatz knapp oberhalb der fünf Prozent.

Die rechtsradikale AfD und die neu gegründete Partei von Sahra Wagenknecht überboten sich mit populistischen Einfältigkeiten und teilten sich ihre Wählerpotential von zusammen etwa 25 Prozent auf.

Das Ergebnis: Die Union siegte

Als schließlich der Wahltag kam, flimmerte das folgende Ergebnis über die hochsommerlich erhitzten Bildschirme:

Die CDU/CSU gewann die Wahl mit 26 Prozent. „Gegen uns kann keine Regierung gebildet werden“, jubelte Merz am Wahlabend. Aber am nächsten Morgen bereitete das Ergebnis allerdings allgemeines Kopfzerbrechen. Die Kanzlerpartei SPD hatte aufgeholt, bleib aber bei 22 Prozent stecken. Die Grünen konnten wenig mehr als ihre eigenen Stammwähler mobilisieren und landeten bei 13 Prozent. Die FDP jubelte: Sie erreichte mit 8 Prozent wieder den Bundestag. Außerdem zogen in das Parlament ein: Die AfD mit 16 und die Wagenknecht-Partei mit 6 Prozent. Alle anderen Parteien, darunter auch Die Linke und die Freien Wähler gingen leer aus. Die Linke gewann in Berlin ein einziges, und die FW in Bayern zwei Direktmandate.

Die Sommerpause im politischen Berlin fiel aus. Die Union konnte Merz nur in einer Dreierkoalition zum Kanzler machen. Eine Zusammenarbeit mit der AfD hatte sie ausgeschlossen, also musste sie zwei der drei anderen demokratischen Parteien zu Partnern erwählen. Für eine „links-grüne“ Mehrheit unter Führung der SPD fehlten die Mandate, zumal die SPD eine Zusammenarbeit mit Sahra Wagenknecht ablehnte.

„Soziale Politik im freien Staat“, hieß das Motto

Nach wochenlangen Sondierungen und internen Auseinandersetzungen innerhalb der Union und in der SPD entschieden sich CDU/CSU für eine Koalition mit SPD und FDP. „Soziale Politik im freien Staat“, stand über dem Koalitionsvertrag. Merz wurde im Oktober zum Bundeskanzler gewählt. Das 100-Tage-Programm sah vor: Keine neuen Schulden, keine höheren Steuern, umfassende Waffenhilfe für die Ukraine, dauerhafte Stärkung der Bundeswehr, ein zusätzliches Sondervermögen für den Wohnungsbau, Aufhebung des sog. „Heizungsgesetzes“.

Die politische Fachpresse in Berlin schlug die Hände über dem Kopf zusammen: Wie sollte das funktionieren? Und schon im November, bei der finalen Verhandlung für den Haushalt 2025, zeigten sich die gravierenden Risse innerhalb der neuen Koalition. Die FDP beharrte auf einem Einhalten der Schuldenbremse und schlug zur Finanzierung von Bundeswehr und Ukraine-Hilfe massive Kürzungen bei den Renten vor, was die SPD entschieden ablehnte. Wie geplant stieg zudem der CO2-Preis weiter an, verteuerte Benzin und Gas. Soziale Kompensationen dafür waren abgeschafft worden, genauso wie die Förderung von ökologisch orientierten Investitionen. Der Einbau von Wärmedämmung, Solaranlagen und Wärmepumpen stagnierte.

Heftiger Frost im Dezember, Bomben auf die Ukraine

Im Dezember gab es – gegen den Trend der letzten Jahre – heftigen Frost. Über Weihnachten zeigte das Thermometer zwei Wochen lang unter minus 10 Grad tagsüber. Die Gasspeicher leerten sich rapide, und ihre Auffüllung ließen die Gas- und anderen Energiepreise in die Höhe schießen. Die Inflation stieg wieder an. An dieser Entwicklung war die neue Regierung zwar schuldlos, trotzdem protestierten Autofahrer und Hausbesitzer heftig. LKW-Unternehmer schlossen sich an, auf wichtigen Autobahnen rollte im Januar tageweise nichts mehr.

Russland intensivierte zeitgleich seinen Bombenkrieg gegen die Ukraine. Heftiger Bombenhagel ging auf Kiew und die ukrainischen Großstädte im Westen des Landes nieder. Die katastrophalen Folgen lösten einen neuen Flüchtlingsstrom nach Deutschland aus. Vor allem Frauen und Kinder flohen vor den Zerstörungen in ihrer Heimat, und die deutschen Kommunen erklärten erneut, sie könnten die Unterbringung nicht mehr gewährleisten. Trotz dieser Ausnahmesituation beharrte die FDP auf der Schuldenbremse.

Die neue Regierung war noch nicht einmal ein halbes Jahr im Amt, als sie in ein noch nie dagewesenes Umfragetief rutschte. „Merz muss weg!“, skandierten die hupenden Lastwagenfahrer im Chor mit wütenden Rentnern. DGB und VdK mobilisierten in Großdemonstrationen. In den Umfragen profitierten von der rebellischen Stimmung die Radikal-Parteien AfD und BSW, sowie die Grünen in der Opposition. 70% der Bevölkerung stimmten der Aussage zu: „Mit dieser Regierung bin ich unzufrieden.“

Dann ein Interview im „Bericht aus Berlin“

Der Generalsekretär der SPD gab dem „Bericht aus Berlin“ im Februar 2025 ein Interview: Er wünsche sich eine Zusammenarbeit mit den Grünen, da müsse man nicht immer allen anderen die soziale Komponente der Marktwirtschaft erklären. Die Parteiführung der Grünen antwortete prompt: Man stehe zur Verfügung. Am besten auf dem Weg über baldige Neuwahlen.

 

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Der große alte Kater auf dem Baum

Eine politische Fabel

(1)

Als der große alte Kater auf schwankendem Geäst in der Baumkrone hockte, mühsamen Halt suchte am einzigen halbwegs stabilen Ast, ärgerte er sich sehr über sich selbst. Es dunkelte bereits sachte, und der Wind zerwühlte sein Fell unangenehm.

Bild von Amy auf Pixabay

 

Wie war er nur in diese Lage geraten? Er hatte doch den jungen Katzen schon ungezählte Male gepredigt, dass sie sich hüten sollten vor den Verlockungen der hohen Bäume. Das Hinaufklettern lohne sich nicht, die flinken Vögel seien ohnehin schneller weggeflogen, als so eine Katze dort oben sein könnte. Und so verlässlich die gebogenen Krallen beim Heraufsteigen helfen würden, so untauglich würden sie sich erweisen, wenn man wieder hinunterwill. Dann geben sie kaum Halt, mühsam müsse man sich rückwärts hinabarbeiten, ohne den sicheren Blick dorthin, wo es entlang geht. Es sei kein guter Platz für Katzen und Kater auf den Bäumen, hatte er doziert, und die Jungen hatten respektvoll genickt und geschnurrt und ihm geschworen, an seine Worte zu denken.

Nun aber saß er selbst auf diesem Baum, und seine große Erfahrung hatte ihm nichts genutzt, um die peinliche Lage zu vermeiden, in die er geraten war. Es war schrecklich.

(2)

Begonnen hatte alles bei der letzten Wahl zum Mächtigsten aller Tiere. Es gab sehr viele Tiere in diesem Land, und alle gemeinsam hatten sie einen Gegner: die Menschen. Die Menschen zerstörten systematisch alles, was die Tiere zum Leben brauchten. Die Menschen waren es, die das Gras und die Blumen vergifteten und damit den Mücken und Bienen und Wespen die Grundlage ihrer Existenz nahmen. Die Menschen warfen Plastikmüll in das Wasser, in dem die Fische schwammen. Sie fällten die Bäume, auf denen die Eichhörnchen und Fledermäuse wohnten und verpesteten die Luft, durch die die Vögel flogen. Manche Tiere hielten die Menschen sogar in schauderhaften Gefängnissen, schlachteten sie, und aßen sie auf.

Die Tiere waren sich also zwar grundsätzlich einig, dass sie alle ihre Kräfte auf den Kampf gegen den Menschen richten sollten – aber wie dieser Kampf zu führen sei, darüber stritten sie erbittert. Viel zu viele interessierten sich überhaupt nicht für die Geschicke der Gemeinschaft, sondern waren nur damit beschäftigt, wie sie etwas zu fressen finden. Die unpolitischen Rinder und Schweine zum Beispiel hatten noch immer nicht begriffen, welches Ende ihnen bevorstand. Andere, wie die flinken Rehe oder die stolzen Hirsche waren einfach nur dumm. Die eitlen Pudel und die schillernden Pfaue betrachteten von morgens bis abends nur sich selbst im Spiegel. Es gab verachtungswürdige Anpasser in der Tierwelt, wie die Mäuse und die Ratten, die glaubten, sie könnten sich den ganzen giftigen Unrat der Menschen auch noch zunutze machen.

Die Lage der Tiere war ernst, und der große alte Kater wusste das schon seit langem. Aber seit vielen Jahren hatte die Chefin der Katzen und Kater die Position als Mächtigste aller Tiere inne. Sie war mit ihrer ganzen Geduld und Ausdauer, mit Klugheit und Raffinesse tätig gewesen, hatte vermittelt zwischen den Füchsen und Gänsen, hatte die Katzen gemahnt, nicht mehr als nötig den Mäusen oder Vögeln nachzustellen, hatte sogar den größten Teil der Hunde, soweit sie nicht blaubraun waren, bei halbwegs erträglicher Laune gehalten.

Ihn, den großen alten Kater, hatte diese machtbewusste Katze allerdings weggebissen, verscheucht mit Fauchen und scharfen Krallen, und er hatte deshalb lange warten und ausharren und sich verstecken müssen, bis endlich die Chance bestand, selbst zur Wahl des Mächtigsten aller Tiere anzutreten.

Aber es kam anders. Als die kluge alte Katze ihr Amt abgab, drängte sich ein freundlicher Grinsekater als Chef der Katzen vor. Der Grinsekater grinste allerdings auch dann, wenn es nicht passte, und verstand zu spät, dass ihm das Ansehen und Wahlsieg kosten würde. Bei der großen Wahl aller Tiere hatten so die roten Ameisen, die grünen Vögel und die gelben Badeenten gemeinsam die Katzen von der Macht verdrängt. Sie hatten eine rote Ameise zum Mächtigsten aller Tiere gewählt und sofort zu regieren begonnen.

(3)

Der große alte Kater konnte es nicht fassen, dass es soweit gekommen war. Er war fest überzeugt davon, dass er nicht nur größer, sondern auch schneller und auch viel klüger war als alle diese roten, grünen und gelben Kleintiere zusammen. Deshalb verjagte er den freundlichen Grinsekater und wurde bald selbst Chef der Katzen und Kater. Im neuen Amt verspottete er die fleißigen roten Ameisen, und warf deren Chef vor, nicht wirklich ein Mächtigster aller Tiere zu sein, sondern nur und ohne Orientierung auf dem Boden der Tatsachen herumzukrabbeln. Er fauchte den flatternden grünen Vögeln nach und schlug mit seinen scharfen Krallen auf die gelben Badeenten ein, die ohnehin damit rangen, im Teich der Meinungen nicht ganz zu ertrinken. Sie alle sollten keine ruhige Minute haben, solange nicht er der Mächtigste aller Tiere sein würde.

Dabei wusste der große alte Kater, dass in der Tierwelt die blaubraunen Hunde besonders gefährlich und rücksichtslos waren. Die waren nicht dumm, sondern bösartig. Sobald sie andere Tiere auch nur sahen, kläfften sie ganz fürchterlich, verbreiteten Angst und Schrecken. Die blaubraunen Hunde waren intrigant und verlogen, erzählten zum Beispiel den Gänsen, dass allein die Enten daran schuld wären, wenn sie von den Füchsen angegriffen werden. Die blaubraunen Hunde waren ein echte Plage, sie wurden immer mehr, und sie bedrohten auch die Katzen. Der große alte Kater hatte daher alle Pfoten voll damit zu tun, seinen Katzen und Katern gut zuzureden, dass sie sich nicht fürchten sollten vor diesen Hunden, sondern sich ihrer eigenen Krallen, ihrer Schnelligkeit und ihrer Klugheit bewusst sein sollten.

Wenn der große alte Kater in ruhigen Momenten auf seinen Samtpfoten durch das Gras streifte, so dachte er sich, dass alle Tiere gemeinsam den Terror der blaubraunen Hunde irgendwie loswerden müssten, um sich ganz und gar gegen die Zerstörungswut der Menschen wehren zu können. Andererseits ärgerte er sich so sehr darüber, dass nicht er, sondern die lächerlichen Ameisen, die flatterigen Vögel und die albernen Badeenten den Staat der Tiere regierten, dass er sich weigerte, mit diesen bunten Kreaturen irgendetwas gemeinsam zu unternehmen. Und über diesen Ärger vergaß er auch immer wieder die blaubraunen Hunde.

(4)

Eines schönen Tages war der große alte Kater mal wieder auf einem seiner Rundgänge unterwegs. Er war noch immer ein guter Streuner, er konnte sich lautlos heranschleichen, wenn es sein musste, aber auch wild fauchen, wenn er sich bedroht fühlte. Die Sonne stand schon tief über dem Horizont und tauchte die Welt der Tiere in ein mildes Licht – als plötzlich eine ganze Horde der blaubraunen Hunde auf den großen alten Kater zugestürmt kam. Es war furchterregend; die Biester fletschten ihre Zähne, die Zungen hingen gierig heraus, sie bellten wie wild und machten einen Höllenkrach.

Was hätte er tun sollen? Der große alte Kater war allein unterwegs, er war ratlos, und die Hundehorde kam immer näher. In höchster Not fauchte er sie an, buckelte so hoch er konnte, zeigte den heranbrausenden Biestern sein giftigstes Funkeln und seine schärfsten Krallen, aber die ließen sich davon nicht beeindrucken.

Da erinnerte sich der große alte Kater an die verlockende Höhe des Baumes der einfachen Wahrheiten. Er verehrte und bewunderte diesen Baum schon seit Längerem: So ein schöner starker Stamm, so eine prächtige Höhe! Von seiner Krone, gut geschützt vom rauschenden Blätterwald, sicher geborgen im starken Geäst – das versprach Rettung vor der gierigen blaubraunen Meute. Im allerletzten Moment flüchtete er sich dorthin, sprang auf dem Stamm hinauf, krallte sich fest in der borkigen Rinde der Zustimmung, die seinen Krallen wunderbaren Halt gab, vergaß alle Warnungen, die er selbst so oft gepredigt hatte, und stieg hoch und immer höher, während unten die blaubraunen Hunde bellten und kläfften, ihre Zähne in die Rinde schlugen, ihren Geifer ins Gras tropfen ließen – aber nicht an ihn herankamen.

(5)

Das war knapp gewesen. Doch nun saß er auf dem Baum, ganz oben, erstmal in Sicherheit. Das Geäst war nicht so stabil, wie er erwartet hatte, der Sichtschutz der Blätter weniger dicht als gewünscht. Und vor allem: Wie sollte er von dort wieder herunterkommen?

Da hörte er ein leises Krabbeln und Kribbeln, ein Zirpen und Zischeln, ein Trippeln und Trappeln. Es war zunächst mehr ein Rauschen als ein definierbares Geräusch. Der alte Kater stellte seine Ohren auf und bald lauschte er aus dem ganzen Durcheinander sogar einzelne Töne heraus. Nun war auch schüchternes Piepen zu vernehmen, mutiges Quaken, fröhliches Brummen. Ungläubig blickte der alte Kater aus seinem Versteck nach unten: Hunderttausende Ameisen wanderten dort, auch Zikaden und Grillen, schüchterne Mäuse, ein paar vorlaute Ratten, lärmende Laubfrösche, auch die eine oder andere Katze schlich mit, sogar ein paar ungelenke Badeenten waren dabei – sie alle zogen unter ihm vorbei. Ein nicht enden wollender Strom von Tieren aller Art zog dahin, und sie alle zirpten und brummten und quakten und miauten nur den einen Satz: „Weg mit den blaubraunen Hunden!!“

Das ganze Land der Tiere war hier unterwegs, endlos zogen die Kolonnen unter ihm entlang, pfeifend und singend flatterten die Vögel mit, brummend und keuchend, bunt und vielfältig, aber einig und ohne Streit ging es voran im großen Marsch der Tiere. Da saß er nun, der alte Kater, oben auf dem Baum, und wusste nicht, wie er von dort wieder herunterkommen sollte. Aber am schlimmsten war: Offenbar vermisste ihn niemand.

 

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