Bethlehemskirche, Richardplatz 22, 12055 Berlin
Mein Besuch am 8. September 2022
Über Berlin im Allgemeinen, besonders auch über die Beanspruchung seiner Infrastruktur, über die Ästhetik und Herausforderungen von multikultureller Vielfalt einer Millionenstadt, ist schon viel geschrieben worden. Wer beides selbst erleben will, darf nicht im charmanten Charlottenburg bleiben, und auch nicht in der schicken Mitte, sondern könnte Neukölln aufsuchen. Ein Spaziergang entlang der Karl-Marx-Straße, ein Abbiegen durch die Straßen des Ortsteils „Rixdorf“ bis zum Richardplatz – das darf empfohlen werden für jeden, der auch diese Seite unserer Hauptstadt erleben möchte.
Je weiter sich der Spaziergänger von den Hauptstraßen des Viertels entfernt, das für meine Augen oft chaotisch anmutende Durcheinander aus Bazar, Öko-Märkten, Döner-Läden und Telefonshops verlässt, findet in Rixdorf eine dörfliche Struktur mit einem ovalen Platz in der Mitte. An dessen Ende duckt sich, scheinbar herabgesunken und versteckt, eine kleine Kirche mit geschindeltem Turm und stolzer Turnhaube zwischen die Mietshäuser. Die Bethlehemskirche (die erst seit etwa 100 Jahren so heißt) geht auf einen im 30jährigen Krieg abgebrannten Vorgängerbau von ca. 1400 zurück; das aktuell zu besichtigende Kirchlein steht auf dessen Fundamenten. Im Wesentlichen in dieser Form entstand es 1640. Es ist ein wahres Wunder, dass dieser Bau die Jahrhunderte überstanden hat. Dass es sich behaupten konnte, als Rixdorf eben kein „Dorf“ mehr war, sondern seit 1850 Wohnbebauung wütend heranwucherte. Und das, obwohl die Kirche bald zu klein wurde für die damals noch gottesfürchtige Bevölkerung in Rixdorf, weshalb ab 1877 die wesentlich größere Magdalenenkirche in wenigen hundert Metern Entfernung neu errichtet wurde. Das uralte Kirchlein blieb trotzdem stehen, weil die aus Böhmen zugewanderten lutherischen Christen Rixdorf zu ihrer neuen Heimat gemacht hatten und die kleine Kirche für ihre Gemeindearbeit erwarben und pflegten.
Inzwischen gehört die Bethlehemskirche wieder zur evangelischen Kirchengemeinde Rixdorf. Wenn Sie Glück haben, und das freundliche Schild „Kirche Offen“ am Abgang zu sehen ist, so kann ein Blick in das sehr schlichte Innere nicht schaden. Die eigentliche Überraschung ist aber die Kirche an sich. Da steht sie, sicher fast ein Meter tiefer als ihre Umgebung. Generationen haben sich dort auf dem Sediment der Jahrhunderte, all den Steinen, dem Erdreich, den Hinterlassenschaften von Reichtum, Armut, Krieg, Zerstörung und Neuaufbau, inzwischen ein deutlich höheres Siedlungsniveau er-lebt. Aber die kleine Kirche da unten steht noch immer.
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Mehr Informationen auf der Website der Kirchengemeinde: https://evkg-rixdorf.de/bethlehemskirche