Die Fünfe gerade kleben lassen?

Über Gelassenheit und den Sand im Getriebe

So eine Spielstraße hat ein wechselvolles Leben. Vor vielen Jahren waren alle Häuser neu und die Straße war voller Kinder, tobend, tanzend, seilhüpfend beherrschten sie den damals noch frisch getrockneten Asphalt. Wenn ein Paket gebracht wurde, war das ein seltenes Ereignis, und es kam in einem gelben Postauto, das vorsichtig zwischen den spielenden Kindern hindurch schlich. Ist ja eine Spielstraße.

Kein Rechtsbruch: Diese fünf Finger kleben nicht auf dem Asphalt, und sie sind gerade – ein Signal für friedliches Miteinander.
Ein Rechtsbruch: Es ist verboten, Zigarettenkippen auf die Straße zu werfen. Trotzdem geschieht es täglich. Ein Fall für „Fünfe gerade sein lassen“?

Dann wuchsen die Kinder wie auch die Büsche und Bäume. Bald waren sie groß genug, um den Jugendlichen, die hier mal als Kinder herumsprangen, Schatten zu spenden für ihre Treffen, für die ersten heimlichen Zigaretten, den billigen Fusel und die Chipstüten aus dem Supermarkt. Dann zerstreuten sich die Jugendlichen in alle Welt und niemand spielte mehr auf der Spielstraße. Die Autos eroberten sie sich zurück, darunter auch die verschiedenen bunten, nicht mehr nur gelben Transporter.

Inzwischen sind neue Familien eingezogen und warten auf ihre vielen Pakete. Hurtig brettern die getriebenen Fahrer durch die Spielstraße. Nun sind da aber auch wieder Kinder, die Fangen spielen oder Fußball und Seiltanzen. Hier nur Schrittgeschwindigkeit!, mahnen besorgte Eltern. Da staunt der Lieferant: Ach, sagt er, wissen Sie, wie viele Pakete ich noch zu liefern habe? Man muss auch mal fünfe gerade sein lassen. Ist ja noch nichts passiert.

Ist ja noch nichts passiert

An der Ecke, neben seiner Stammkneipe, steht der rauchende Rentner, der da immer steht. Früher, sagt er, früher hab´ ich da nicht so drauf geachtet. Wenn die Zigarette zu Ende war, dann hab´ ich die Kippen einfach auf den Boden geworfen. Kennt jeder: Kippen auf der Straße. Oder vor einem fährt ein Auto, und aus dem Fenster fliegt der noch glühende Zigarettenstummel.

Streng genommen wär´s verboten

Streng genommen, ergibt die Internet-Recherche, ist das eigentlich verboten. Rücksichtslos und gefährlich ist es auch, Kippen sind umweltschädlich, giftig, gefährden die Gesundheit vor allem von Kindern, und können Brände auslösen. Trotzdem liegen Milliarden Zigarettenstummel auf unseren Straßen und Wegen.

Früher hab´ ich gedacht, sagt der rauchende Rentner, was kümmert mich das? Muss man mal fünfe gerade sein lassen. Aber jetzt, sagt er, mach ich das nicht mehr. Er zieht eine kleine Metallschachtel aus der Hosentasche.

Bringt Gelassenheit Deutschland nach vorne?

So ein Döschen hat Bundeskanzler Olaf Scholz sinnbildlich den Deutschen verordnet, als er im Rahmen seiner Sommerpressekonferenz vor wenigen Tagen mehr Gelassenheit empfohlen hat. Es brauche mehr Kompromisse, in der Politik und auch in unserem gesellschaftlichen Diskurs. „Kompromisse finden und Fünfe gerade sein lassen, das bringt Deutschland nach vorne.“

Der Redewendung von den geraden Fünfen ist nicht etwa ein Plädoyer für weniger Genauigkeit in der Mathematik, sondern stammt aus dem Mittelalter und bedeutete: Wer „die Fünfe gerade sein lässt“, der ballt die fünf Finger seiner Hand nicht zur Faust. Dies konnte als Friedenssignal gedeutet werden, denn wenn es anders war, drohte Gewalt.

Also kein Faustschlag in das Gesicht der Raucher, die ihre Kippen einfach fallen lassen, keine Handgreiflichkeiten gegen den eiligen Paketboten. Der Kompromiss lautet: Dein Verhalten ist ist grenzwertig, aber ich toleriere es, es ist keiner Gewalt würdig.

Der Sand im Getriebe fordert Gelassenheit

Solche Gelassenheit könnte auch das Motto sein im Umgang mit denjenigen, die ihre Fünfe auf den Asphalt kleben, um auf einen unbestreitbaren Missstand hinzuweisen. Immerhin ist diese Aktionsform ein Musterbeispiel für gewaltfreien Widerstand im Sinne der Redewendung: Wenn die Finger mal kleben, dann wird es ganz sicher erstmal nichts mit einer Faust.

Der Kanzler hat die Klimakleber bei anderem Anlass einmal als „bekloppt“ bezeichnet. Das darf man so sehen, wenn man möchte, aber sein Motto von der Gelassenheit und dem „Fünfe gerade sein lassen“ passt doch gut auch auf viele Situation, die von den festgeklebten Blockaden verursacht werden. Schon blöd, dass viele dann nicht weiterfahren können, manche Pakete die Spielstraße nicht pünktlich erreichen, der Tagesplan durcheinandergerät. Auch die Straßenreinigung bleibt stecken, die sich um die Kippen kümmert. Es ist der Sand im Getriebe des Alltags, der Gelassenheit erfordert. Der Ärger darüber ist gut zu verstehen, so wie Ärger über einen Bahnstreik, oder den Selbstmörder, der den Zug aufhält, oder die Kita-Schließung wegen Personalausfällen.

Nein, nein, wird da nun schnell jemand rufen, das ist ja ganz etwas anderes! Der Streik ist legitim, und der Krankenstand der Erzieher auch, aber den Verkehr behindern, das ist doch ein Rechtsbruch! Das ist kein Fall für Gelassenheit, sondern für die ganze Unerbittlichkeit des Rechtsstaates!

Mag sein, nur gilt das auch für die weggeworfenen Zigarettenkippen und das flinke Tempo in der Spielstraße. Die Faust zu ballen, wird in allen diesen Situationen wenig helfen.

 

Über die Entstehung der Redewendung „Die Fünfe gerade sein lassen“ kann man z.B. hier mehr erfahren: https://www.abendblatt.de/region/stormarn/article205497179/Warum-kann-man-fuenf-gerade-sein-lassen.html

Die Sommerpressekonferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz gibt’s nachzuerleben bei Phoenix via YouTube:  https://www.youtube.com/live/ft4HZittxKk?feature=share

 

 

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