Kann Barock modern sein? (#43)

Ev. Stadtkirche Ludwigsburg, Marktplatz, 71634 Ludwigsburg

Mein Besuch am 9. Februar 2023

Kann eine barocke Kirche modern sein? Ich bin zunächst nicht auf die Idee gekommen, mir darüber Gedanken zu machen. Dann aber näherte ich mich, ein weiteres Mal über den traumhaft weiten, städtebaulich harmonischen (wenn man die über die Giebel des Platzes hinausragenden Bausünden aus den Jahren des Wirtschaftswunders übersieht), ganz und gar italienisch anmutenden Marktplatz von Ludwigsburg der in prächtigem Rosa herausgeputzten Stadtkirche. Und schon dieser Platz ist so offen, und doch geschützt und demokratisch, so stimmig, prächtig und doch einladend, wie es moderner nicht sein könnte.

Eine Dominante auf einem der schönsten Plätze, die ich kenne: Die Ev. Stadtkirche von Ludwigsburg.

Zwei Kirchen stehen sich am Rand seiner harmonischen Weite gegenüber, die kleinere katholische Kirche „Zur Heiligsten Dreieinigkeit“, und ihr genau gegenüber, deutlich größer, als Dominante, die Evangelische Stadtkirche. Was für ein ökumenischer Ort! Zwei Türme bewachen Kirche und Platz, grüßen hinüber zum katholischen Gegenstück und geben dem Gesamtbild eine Harmonie, die sich wunderbar einfügt in das Ensemble. Dazwischen je nach Jahres-, Tages- und Witterungszeit spielende Kinder, ein lebendiger Marktplatz, ausufernde Cafes, keine Autos. Es ist einer der schönsten Innenstadtplätze, die ich persönlich erlebt habe.

Also hinein in die 1726 geweihte evangelische Stadtkirche, eine der wenigen Kirchen, die im Barockstil errichtet wurden, obwohl schon bei Baubeginn feststand, dass sie evangelisch geweiht werden würde. Eigentlich war der in Süddeutschland verbreitete Barockstil ein Ausdruck der Gegenreform, der stolzen Platzbehauptung für die katholische Kirche. Der württembergische Herzog Eberhard Ludwig, der den Kirchenbau in Auftrag gab, legte aber seine ganze neue  Residenzstadt Ludwigsburg im barocken Stil an, wie auch das prächtige Schloss, in dem er zu residieren gedachte, und war klug genug, dafür andere Prinzipen aufzugeben. Also wurde die evangelische Kirche auch in Barock gestaltet.

Das Innere der Kirche ist schmucklos weiß, es empfängt den Besucher ein offener, weiter heller Kirchenraum. Eine barocke Kanzel dominiert den Altarraum, der sonst mit einem modernen Altar und dazu gestaltetem Lesepult schwarz-golden glänzend ausgestattet ist. In Weiß und Gold schweigt auch die Orgel über dem Haupteingang auf der Empore, und ich nahm mir bei meinem Besuch sogleich vor, diese barocke, in ihrer Atmosphäre aber von stiller Modernität geprägte Kirche wieder zu besuchen, wenn – wie an jedem Samstags-Wochenmarkt um 11 Uhr – dort zur Orgelmusik geladen wird.

Weit und weiß – der Innenraum der Stadtkirche beruhigt in strahlender Stille.

Man kann es sich gut vorstellen: Zuerst zwischen den Marktständen schlendern, dann die Beine ausruhen lassen und den Kopf erfrischen in diesem hellen Raum, dahingleitender Orgelmusik zuhören, sich einen meditativen Moment gönnen, schließlich wieder hinaustreten auf diesen Platz, den Einkauf fortsetzen, einen Kaffee trinken. Es ist so ein unglaubliches Glück, in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben zu dürfen, und wenn ich es körperlich erfahren will, dann bin ich vor (und in) dieser Kirche an der besten Stelle auf der ganzen Welt.

 

Die Kirchengemeinde der Ev. Stadtkirche Ludwigsburg unterhält auch eine ausgesprochen informativ und ansprechend gestaltete Website: https://www.stadtkirche-ludwigsburg.de/

Das städtebauliche Gegenüber der Stadtkirche, die katholische Kirche „Zur heiligsten Dreieinigkeit“ ist ebenfalls Teil meiner Sammlung #1000Kirchen. Auch sie ist übrigens innen sehr modern gestaltet und einen Besuch Wert.

 

 

 

Schillers Taufkirche (#0015)

Stadtkirche Marbach, Niklastorstr. 5, 71672 Marbach a. N.

Mein Besuch am 25. Juli 2021

Eng geht es zu rund um die Stadtkirche von Marbach a. N.

Eng winden sich die Gässchen um die Kirche, es ist schwierig, genug Abstand zu gewinnen, um sie in ihrer Gänze erfassen zu können. Ein kleines Fachwerk-Türmchen für eine Wendeltreppe schmiegt sich an ihre verbaute Fassade, ein barocker Glockenturm thront auf ihrem Dach.

In diesem Kirchlein wurde am 11. November 1959 Friedrich Schiller getauft, der nur wenige Schritte entfernt geboren wurde. Der damals genutzte Taufstein ist noch heute in Gebrauch. Schiller wird ihm nicht mehr viel Beachtung geschenkt haben, da seine Familie schon bald von Marbach fort ziehen musste. Der rebellische Geist, der ihn bald in Konflikt mit dem württembergischen Herrscherhaus brachte, macht es eher unwahrscheinlich, dass Schiller als Erwachsener nochmals nach Marbach zurückkehrte. Und so steht der berühmte Taufstein ziemlich verloren in dieser sonst wie ausgeweidet wirkenden Kirche. Kein Altar ziert den Chor, die Orgel steht praktisch, aber nicht organisch, seitlich im Hauptschiff, und die Empore ist daher gähnend leer.

Diese Kirche hat manches mitgemacht, und es nimmt kein Ende. Beim Stadtbrand war sie 1693 ausgebrannt, wurde dann wieder aufgebaut. Seither hat sie den Aufstieg Württembergs zum Königreich, die Revolution 1918, den Nationalsozialismus er- und überlebt. Im Oktober 2020 wurde ihre Haupteingangstür zum Ziel eines Brandanschlages eines Marbachers, der sich selbst der „Reichsbürger“-Szene zuordnet.

Die Orgel neben dem Altar ist sicher praktisch, aber is sie da auch schön? Und links daneben die Taufurkunde von Friedrich Schiller

Ich hatte bereits in der mächtigen Stiftskirche von Herrenberg beklagt, dass manche Kirchen ihrer Seele beraubt werden. So geht es mir auch hier: Dieses alte Gemäuer hätte so viel zu erzählen, viel mehr als der Taufstein eines berühmten Marbachers. Aber sie erzählt leider wenig.

Über Friedrich Schiller in Marbach und seinen Streit mit dem württembergischen Herrscherhaus mehr bei Wikipedia:  https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Schiller