„I did it my way“ – ein Lied macht Geschichte(n)
Es gibt nicht viele Lieder, die ganz unmittelbar große Emotionen freisetzen. Wenn die Lautsprecherboxen bei der Schulabschlussfeier „We are the Champions“ heraustriumphieren, fühlen sich gleich alle Durchschnittsschüler als grandiose Sieger. Ähnliches tritt ein, wenn nur die Worte „I did it my way“ ausgesprochen werden. Sekundenschnell rufen die Gehirnsynapsen ein paar Noten ab und verklumpen sich zu einem gefühligen Brei aus Empathie und sanfter Reflexion.

Ein eigener Weg – was soll das sein? Sich querfeldein vorarbeiten durchs Gelände des Lebens? Einen „eigenen Weg“ zu reklamieren, ist entweder ein Eingeständnis von Banalität oder es hat den Anspruch auf Genialität. Banal daran ist, dass doch jeder Mensch in seiner Lebensweise irgendwie einzigartig ist, dass kein Wohnzimmer dem anderen gleicht, kein Tagesablauf von Hinz identisch ist mit dem von Kunz, und mag er noch so alltäglich zwischen Arbeit, Liebe und Freizeit dahindümpeln. Genial wäre der eigene Weg erst dann, wenn zu einzigartigem Glück geführt hätte, zu etwas Einmaligem, eine unwiederholbare Gipfelbesteigung, ein Ausdruck strahlender Individualität.
Eine besonders eitle Form schmerzfreier Eigenbetrachtung
Nichts davon erzählt das Lied „My Way“ (englischer Text von Paul Anka, Melodie vom französischen Komponisten Jacques Revaux), gesungen und weltberühmt gemacht von Frank Sinatra. Es ist stattdessen eine selbstgefällige Rechtfertigungsarie darüber, warum ein Mensch (man hört es durch: Ein Mann!) so ist, wie er sich gerne sieht. Es ist eine besonders eitle Form, schmerzfreie Eigenbetrachtung als kritische Rückschau zu verbrämen: „Ich habe geliebt, habe gelacht und habe geweint“, ist sich der Text in deutscher Übersetzung sicher, „ich hatte auch genug an Niederlagen wegzustecken. Und jetzt, wo die Tränen verflogen sind, kann ich sogar darüber lachen.“ Niemand lacht bei diesem Lied, das zur Hymne des Stolzes auf das Banale geworden ist. „Was ist ein Mann, was hat er denn schon?“, betrachtet sich der Sänger weiterhin im musikalischen Spiegel, „wenn nicht sich selbst, so hat er nichts.“ Aber immerhin: „Die Bilanz zeigt: Ich habe einstecken müssen – aber ich hab‘ es auf meine Weise getan“ – „I did it my way“.
„My Way“ nahm der US-amerikanische Jazzsänger und Schauspieler Frank Sinatra im Jahr 1968 auf, als er immer wieder mit (bis heute umstrittenen) Vorwürfen der Mafia-Verstrickung konfrontiert war. Den Quellen nach erwog er, sich ganz aus dem Showbusiness zurückzuziehen, und „My Way“ hätte sein Abschiedslied sein können. Dann aber wurde der Ohrwurm sein größter Hit, unzählige Male kopiert und gecovert. „ I did ist my way“ sang der alkoholkranke Harald Juhnke als Rückschau auf sein privates und künstlerisches Leben, mit einem neuen deutschen Text. „My Way“ wurde in vielen Ländern zum beliebten Trauerlied bei Beerdigungen, mit dem man sich aller Fragen über das erloschene Leben entledigen kann. Und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder wünschte sich im Jahr 2005 beim Zapfenstreich zum Abschied „My Way“. Vom Musikkorps der Bundeswehr wurde es schauderhaft schlecht gespielt – und ließ doch dem ausscheidenden Kanzler die Tränen in die Augen steigen. Damals ahnte Deutschland noch nicht, was er künftig unter seinem Weg verstehen würde.
Broadway-Atmosphäre im Opernhaus
Nun gibt es auch eine Bühnenproduktion mit dem Titel „I did it my way“. Sie hatte im August 2025 bei der Ruhrtriennale in Bochum Premiere, und wird jetzt in Stuttgart gezeigt. Der Promi-Faktor eines singenden und tanzenden Lars Eidinger sorgte hier wie dort für ausverkaufte Häuser. Erzählt wird die Geschichte eines amerikanischen Ehepaares: Farbige Frau verlässt weißen Mann, um sich ein neues, ein anderes Leben zu suchen, auch, um sich auseinanderzusetzen mit den Erniedrigungs- und Gewalterfahrungen der ehemaligen Sklaven in den USA. Die Musik ist eine lockere Abfolge aus dem Gesangsvorrat von Frank Sinatra und der schwarzen Soulkünstlerin und Bürgerrechtsaktivistin Nina Simone. Lars Eidinger und vor allem Larissa Sirah Herden interpretieren sie auf der Bühne authentisch, neu und überzeugend. Er herrscht Broadway-Atmosphäre im Opernhaus. Eidinger singt und tanzt besser, als man es erwarten würde von einem Schauspieler, und über den Rest hilft sein bewundernswerter Mut hinweg, sich einer solchen Herausforderung zu stellen. Aber es ist dann doch mehr die klangliche Pracht amerikanischer Musik zwischen Jazz, Swing, Soul und Pop, und das Ausbrechen der farbigen Ehefrau zu „ihrem Weg“, das den Abend zum musikalisch wuchtigen, ansatzweise auch politischen Ereignis macht.
„My Way“ und die Weltpolitik
Darüber lässt sich die Banalität des Liedtextes von „My Way“ leicht vergessen. Und schließlich genügt manchmal ein Satz, um eine weltpolitische Wende zu beschreiben. „You know the Frank Sinatra song, ‚I Did It My Way‘“?, fragte Gennadi Gerassimow, der damalige Pressesprecher des sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse im Jahr 1989 Journalisten in Helsinki, „Poland and Hungary are now doing it their way..“
Seither wird die damals neue Linie der sowjetischen Führung unter Michail Gorbatschow als „Sinatra-Doktrin“ beschrieben. Den Staaten des Warschauer Paktes wurde erlaubt, ihren eigenen Weg zu gehen. Hätte Michail Gorbatschow zu diesem Zeitpunkt noch die Macht gehabt, die Osteuropäer an ihrem eigenen Weg zu hindern? Vermutlich nicht, und so ist der ganze Vorgang wohl weniger ein Akt bewusster Befreiung gewesen, als der Versuch, das Unvermeidliche zu verklären. Und wie hätte wohl Gorbatschow darauf zurückgeblickt? I did It my way.
„I did it my way“ an der Oper Stuttgart stand in der gerade begonnen Spielzeit zunächst nur an drei Abenden Ende September 2025 auf dem Programm, die alle bereits vorab ausverkauft waren. Die Musical-ähnliche Produktion soll dort auch künftig im Repertoire gezeigt werden. Einen guten Eindruck gibt der Beitrag des WDR von der gleichen Produktion während der Ruhrtriennale.
Gesehen habe ich die Generalprobe in Stuttgart am 25. 9. 2025.
Mehr Informationen zum Lied „I did it my way“ finden Sie hier.
Mehr Texte als #Kulturflaneur finden Sie hier, als #Politikflaneur hier. Dort gibt es auch einen Beitrag über den Film „Helsinki-Effekt“, der auf die gleichen Ereignisse Bezug nimmt, für die der Begriff „Sinatra-Doktrin“ verwendet wird.