Mariendom, Domplatz 1, 4020 Linz, Österreich
Mein Besuch am 9. Mai 2022
Mit neugotischen Kirchen ist es ja so eine Sache. Man kennt die „echten“ gotischen, die traumhaften Kathedralen in Frankreich, Belgien, den Niederlande, und auch die großen Bischofskirchen in Deutschland, ist fasziniert von ihrer unvergesslich strahlenden, himmelstürmenden Schönheit, ist voller Ehrfurcht vor ihrem Alter – und infolge dessen auch voller Skepsis gegenüber den modernen Nachahmer-Bauten.
Mit entsprechend prüfender Haltung habe ich auch den Linzer Mariendom betreten, noch dazu auf direktem Wege aus dem „alten Dom“ kommend, der barockisierten Kirche Anton Bruckners, die, eingeklemmt im Altstadtgewirr von Linz, zu klein geworden war für die Schar der Gläubigen. Der Mariendom wurde daher seit 1862 am Rand der Altstadt auf freiem Gelände neu gebaut und als neue Hauptkirche im Jahr 1924 geweiht, bis 1935 fertiggestellt. Eine ziemlich neue Kirche also, wenn auch keine moderne.
Selten hat mich aber dann ein Kirchenbau so beeindruckt wie dieser. Seine Ausmaße sind riesig, die größte Kirche Österreichs, mehr als 5000 Quadratmeter Grundfläche. Sie durfte aber nicht die höchste ihres Landes werden, da es keiner Kirche in Österreich anstand, höher zu wachsen als der Wiener Stephansdom. Also ist der Turm zwei Meter niedriger. Sonst aber ist das Raumprogramm von einer Weite bestimmt, die den Besucher verstummen lässt. 54 Säulen tragen diesen Riesenbau, 17 Altäre füllen ihn, und trotzdem ist so viel Platz, dass man sich fast verlaufen könnte.
Wann wir jemals wieder der katholische, überhaupt irgendein christlicher Glaube, in Westeuropa wieder so attraktiv sein, um außerhalb Roms ein solches Gebäude zu füllen? Falls das überhaupt ein sinnvolles Ziel ist, falls es also irgendwo gelingen sollte, dann vielleicht in Linz. Der Mariendom, durchflutet vom Licht farbig strotzender Gemäldefenster in nackenstarrend himmlischer Höhe lässt den Besucher nicht in kontemplativer Ruhe. Die Glasbilder dokumentieren zum Teil die Geschichte ihrer Stadt bis zum Zeitpunkt des Kirchenbaus.
Das Bildprogramm der Fenster holen die offenbar besonders engagierten Dom-Verantwortlichen in Linz mittels Fernrohren in den Lupenblick des interessierten Betrachters, spekulieren dabei über historische Bezüge mit heute diskutierten gesellschaftlichen Fragen. So erfährt man zum Beispiel, warum die im Glasfenster verewigte Valeria, Weggefährtin des hingerichteten Heiligen Florian Männerkleider trägt, vermutlich aber eine Frau war. Und was uns das heute über Identitätsfragen sagt. Welche katholische Kirche traut sich, solche Themen offensiv anzusprechen? Viel zu wenige; im Mariendom geschieht es, klug und einladend.
Eine politische Kirche ist das, auch schon am Eingang, wo eine Gedenkinschrift für den umstrittenen österreichischen Kanzler Dollfuß aus heutiger Sicht historisch neu eingeordnet wird. Und auch das Angebot, auf dem Turm in 68 Metern Höhe eine Woche lang als Schweige-Eremit zu leben, mitten in der Stadt, „nicht sichtbar, und doch präsent“, hebt diese Kirche von anderen ab, was gesellschaftliches Bewusstsein betrifft.
Über den Mariendom in Linz finden sich zahlreiche Quellen im Netz.
Wer nicht hinfahren will, kann sich hier alles auch in digitaler 360°-Optik ansehen: https://www.dioezese-linz.at/mariendom/360grad
Über die Ausstellung „Frauenbilder“ informiert dieser Link: https://www.dioezese-linz.at/site/mariendom/home/news/article/202145.html