Der Antrag und die alten Möbel

Eine kleine Geschichte über die Demokratie

Dies ist eine kleine Geschichte über Engagement, über die Sorge vor böswilliger Vereinfachung, und über die Kraft des Rechts. Es ist die Geschichte darüber, warum es besser ist, mit einer gutgemeinten Idee zu scheitern – als gar keine zu haben.  Kurz: Es ist eine Geschichte über die Demokratie.

Wird Geiz beklatscht werden – wo Mitgefühl und Nachhaltigkeit gemeint sind? Foto: Tomasz auf Pixabay

Niemand zwingt dazu, sich an der Gestaltung der Gesellschaft zu beteiligen. Es ist eine freiwillige Entscheidung, und meistens kann kein Vorteil versprochen werden. Demokratie ist nicht das Machtspiel weit weg in Berlin, ist nicht der Wahlkampf mit seinen Plakaten und Zuspitzungen, ist nicht die dümmliche Vereinfachung des Komplizierten im Kurzvideo. „Demos“, das Volk, das in der Demokratie regiert, ist höchst konkret. Es wohnt neben Dir und über Dir, unter Dir, fährt mit Dir U-Bahn oder steht neben Dir im Stau. „Demos“ bist Du selbst.

Wer mitmacht, wendet sich gegen die Kälte

Freiwillig lässt sich die eine in den Elternbeirat wählen, und der andere nicht. Es zu tun, bringt nur zusätzliche Aufgaben, oft Ärger. Freiwillig hütet irgendwer die Kasse des Sportvereins oder trainiert die wilden Kerle. Freiwillig sorgt sich irgendwer um die Belange der Eigentümergemeinschaft gegenüber dem Verwalter. Und freiwillig ist – jedenfalls in einer Demokratie – auch die Entscheidung, nicht nur Teil des „Demos“ sein zu wollen, sondern auch der „Kratos“, der Herrschaft. Dieser Schritt führt in die Politik. Er findet hunderttausendfach statt, dort, wo das Demos ist – vor Ort, in der eigenen Straße, in der Schule der Kinder, am Arbeitsplatz. Niemand wird dazu gezwungen, sich in die „Kratos“ einzubringen. Aber wenn es niemand tut, ist es wie am Elternabend, im Sportverein oder bei der Eigentümerversammlung: Betretenes Schweigen macht sich breit, ein Auf-den-Boden-Gucken wie in der Schule, wenn es um das Aufrufen geht. Dann ist es die Eiseskälte der Verantwortungslosigkeit, die ihren Raureif über alles und jedes legt.

Wenn also jemand mitmacht in der Politik, dann wendet er sich gegen diese Kälte. Es geht darum, ob es an der nächsten Straßenecke einen Zebrastreifen braucht oder nicht. Ob die Straßenbeleuchtung ausreicht. Ob der Sportverein neue Fußballtore benötigt, und ob die Gemeinschaft helfen sollte, sie zu finanzieren. Oft ist die Lösung nicht leicht, meist gibt es Gründe dafür und dagegen, es kostet vielleicht Kraft und Geld, manchen ist es wichtig, anderen eher nicht. Es wird also diskutiert und beraten, am Ende entscheidet eine Mehrheit. Selbst das liefert oft nicht die letzte Antwort, denn dort, wo Menschen zusammenleben, braucht es Regeln. In der freiheitlichen Demokratie steht das Recht noch über dem, was eine Mehrheit für richtig hält.

Wird Geiz beklatscht, wo Nachhaltigkeit gemeint ist?

Die gutgemeinten Idee sah so aus: Es gibt im Überfluss der Wohlstandsgesellschaft viele, viele Möbel, die aussortiert werden. Die schlechtesten davon landen irgendwo am Straßenrand der Großstädte oder im Sperrmüllcontainer; die besseren verstopfen die Lager der Trödler, der Flohmarktfreunde und der Sozialkaufhäuser.

Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, um die sich die Gemeinschaft kümmern muss, weil sie nicht genug Geld haben, um sich selbst Möbel zu kaufen. Zum Beispiel Menschen, die geflüchtet sind, die vielleicht sogar auf der Straße leben. Was spricht nun dagegen, denkt sich jemand aus der untersten „Kratos“, ganz nah dort, wo das „Demos“ lebt – was spricht dagegen, die staatlichen Unterkünfte für diese Menschen statt mit neuen Tischen, Schränken und Betten nun mit gebrauchten, aber noch gut brauchbaren Altmöbeln auszustatten?

So wird aus der Idee ein Antrag für ein demokratisches Beratungsgremium. Was spricht gegen den Vorschlag? Eigentlich nichts, denkt der Wohlmeinende. Aber im „Demos“ sind auch Böswillige unterwegs. Menschen, die fremdes Leid nicht anerkennen wollen, in der Not eher Schmarotzertum zulasten der Gemeinschaft vermuten. Werden diese Menschen über den Vorschlag jubeln? Geiz beklatschen, wo Mitgefühl nicht fehlt und Nachhaltigkeit gemeint ist?

Am Ende stirbt die gutgemeinte Idee

Es ist die Furcht vor dem Gift der bösen Instinkte, des Neids, der Selbstsucht, der Vorurteile, das die gutgemeinte Idee ungenießbar macht. Dann kommt das Recht zu Wort: Brandschutz, Unfallverhütung, langfristige Nutzbarkeit, alles das kommt als Argument gegen die Altmöbel-Zweitverwertung in Sozialunterkünften noch hinzu.

Die gutgemeinte Idee stirbt. Sie war nicht gut genug. Es werden auch weiterhin neue Möbel gekauft. Aber immerhin hat sich ein Mensch Gedanken für die Gemeinschaft gemacht. Es gab einen Diskurs, und alles zusammen war ein winziges Stück mehr Demokratie als zuvor.

 

 

Die Begriffe „Demos“ (das Volk) und „Kratos“ (die Herrschaft) stammen aus dem Altgriechischen.

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