Wokes Kunstvergnügen in Söders Reichweite

Nicole Eisenman im Münchner Museum Brandhorst – ein Ausstellungsbesuch

Frühlingsgrün schimmert es im Geäst der Bäume. Saftiges Gras deckt die Wiese. Tauben flattern, ein Hund tollt herum. Fast schon Schwabing ist das hier, umzingelt von Universitäten, Studentenviertel. Die Sonne glänzt vom weiß-blauen Himmel. Ein großes Lächeln tönt durch diese Stadt, ein vielsprachiges Palavern der Jugend dieser Welt, die hier studiert und lebt und genießt. Man teilt sich eine Pizza, trinkt aus mitgebrachten Plastikflaschen.

Ermattet im Klimawandel: Die New Yorker Künstlerin Nicole Eisenman hält der Wohlstandsgesellschaft den Spiegel vor – unterhaltsam, anregend, witzig. (Bildausschnitt aus: Tail End)

Dies ist kein Bild, sondern bayerische Realität. Die Bilder sind daneben untergebracht, in einem quaderförmigen Gebäude. Die Fassade schillert bunt, zusammengestückelt ist sie aus Tausenden kleinen bunten Klötzchen. Zu nüchtern für einen Prachtbau, aber angemessen schön für moderne Kunst.

Im trunkenen Rausch wacher Erwartung

Aufbruch der fröhlichen Gruppe, die gerade noch auf der Wiese saß in lockerer Runde. Niemand ist betrunken, und doch ist es ein trunkener Rausch von wacher Erwartung, der diese jungen Menschen hereinspült in das Museum Brandhorst im Münchner Museumsviertel, gleich neben der Pinakothek der Moderne. Die Siebträgermaschine des Museumscafés dampft und zischt, die Studierenden biegen erst einmal dorthin ab, bilden eine gesittete, geduldig und angeregt schnatternde Warteschlange. Englisch, französisch, deutsch – alles durcheinander. Nur keine Eile, der Barista braucht seine Zeit für einen perfekten Cappuccino. Noch ein Croissant dazu, ein italienisches Gebäck? Im Café werden erwartungsfroh die Tische zusammengeschoben.

Wach sind sie, vermutlich auch „woke“

„Wach“ sind diese jungen Menschen, und vermutlich auch „woke“. Denn der heute zum Schimpfwort mutierte Begriff war bei seinem Eintritt in den modernen Sprachgebrauch einfach nur eine Beschreibung. „Stay woke!“ mahnten sich gegenseitig engagierte Menschen nach den Polizeiübergriffen gegen Schwarze in den USA (z.B. gegen Michael Brown 2014 in Missouri). Sie wandten sich mit wachem Geist den gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten in den USA zu. Schnell verbreitete sich das kurze Wort aus vier Buchstaben über die ganze westliche Welt, und als „woke“ wurden bald alle bezeichnet, die sich gegen rassistische, homophobe, sexistische Traditionen und Verwurzelungen wehrten.

Aber Sprache ist nicht neutral, Sprache ist ein Gefechtsfeld. In den nur knapp zehn Jahren seither war eine erfolgreiche Fremdermächtigung dieses Wortes durch rechtsgerichtete und konservative Kreise zu beobachten. „Wokeness“ wurde in ein Schimpfwort umgedeutet, gerade so, als wäre etwas falsch daran, dunkelhäutige Menschen nicht mehr kolonialistisch beleidigen zu wollen. Oder sexistischen Darstellungen in der Öffentlichkeit entgegenzutreten und für die Toleranz gegenüber queeren Lebenskonzepten zu werben, auch wenn sie einem selbst vielleicht fremd sein mögen.

„Bayern ist anders als Berlin.“ Hoffentlich nicht.

„Bayern ist anders als Berlin“, rüpelte jüngst Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident, gegen die Bundeshauptstadt und die dort regierende Ampel-Koalition. „Wir lehnen Wokeness, Cancel Culture und Genderpflicht ab. Bei uns darf man sagen und singen, was einem einfällt.“ Hoffentlich nicht, möchte man ihm da zurufen, denn auch in Bayern darf erfreulicherweise nicht beleidigt und Gewalt verherrlicht werden.

So ganz hoch und abweisend kann die bayerische Mauer gegen die böse Wokeness nicht sein.  Noch bis 10. September zeigt das vom Freistaat Bayern getragene „Museum Brandhorst“, wenige hundert Meter Luftlinie vom Amtssitz des Ministerpräsidenten entfernt, eine spektakulär erfolgreiche Ausstellung der feministisch und bekennend homosexuell positionierten amerikanischen Künstlerin Nicole Eisenman. Was dort im wunderbar luftig hell ausgeleuchteten Keller des Museums auf die oben geschilderten Cappuccino-Trinker wartet, ist beste „woke“ Wohlstandskunst.

Eisenman bietet, was moderne Kunst zugänglich macht

Das Digitale wird Teil der menschlichen Identität: „Selfie“ von Nicole Eisenman.

Die Ausstellung zeigt eine Retrospektive von mehr als 100 Werken der 58-jährigen New Yorkerin unter dem Titel „What Happened“. Es sind Szenen aus dem gesellschaftlichen Leben in den USA – von der Künstlerin eingefangen „auf ebenso humorvolle wie mitfühlende Weise“ (Ausstellungstext). Die Bilder und Installationen bieten alles, was moderne Kunst zugänglich macht. Sie sind oft witzig und laden doch zum Nachdenken ein. Sie stellen die Fragen unserer Zeit, fangen die Ödnis einer oftmals sich selbst überdrüssig gewordenen Welt im Wohlstand ein, stets mahnend, aber nicht klagend. Eisenmans Figuren sehen den Betrachtenden an und fragen ihn, ob er so leben möchten, wie es da zu sehen ist – mehr im Nebeneinander als im Miteinander; mit sich selbst beschäftigt, statt wach für die Welt; verharrend in trostloser Monotonie des kommerziellen Erwartungsdruckes.

Beziehungslose Menschen mit ausdruckslosen Gesichtern hocken in einem Biergarten und wissen mit sich und den vielen anderen, die um sie herum die Zeit totschlagen, nichts anzufangen. In ihrer Verblendung dösen Tea-Party-Republikaner dahin, festgefahren in ihrer Blase aus gegenseitiger Trostlosigkeit, die eine das Gewehr im Blick, während der andere an einem Sprengsatz herumfummelt. Menschen sind gefangen in einer digitalen Welt, die ihnen Kontaktfülle suggeriert, sie aber doch mutterseelenalleine auf das Sofa fesselt. Für ein Selfie teilen wir unsere ganze Identität mit dem Bildschirm.

Gesellschaftliche Missstände im Wohlstand

Im Gemälde „Tea Party“ warten konservative Aktivisten auf ihren Einsatz.

Eisenman zeigt gesellschaftliche Missstände im Wohlstand, auch deren politische Folgen. Daran gibt es nichts zu kritisieren. Im Gegenteil: Dieser Text möchte eine engagierte Aufforderung sein, die inspirierende Kunst von Nicole Eisenman kennenzulernen. Und doch: Möglicherweise kann man am Blick der Künstlerin  auf ihre Welt besser verstehen, warum der Begriff „Wokeness“ eine solche abwertende Umdeutung erfahren hat, zum Kampfbegriff wurde gegen alles, was unbequeme Veränderung befürchten lässt.

Kommt man aus der passenden Ecke der Gesellschaft, so wird man sich bei Eisenman moralisch überlegen wohlfühlen. Die Künstlerin stellt das Patriarchat in Frage und geißelt Rassismus, sie sieht die Folgen des Klimawandels vorher und verspottet uns als Sklaven der digitalen Transformation. Und doch sind dabei die Betrachtenden stets wohlig unterhalten, dürfen grübeln und schmunzeln, müssen keine Schmerzen fürchten.

Die „woke“ Weltsicht ist nicht frei von Selbstgerechtigkeit

Eine so komfortabel ausgestaltete, „woke“ Weltsicht, die nicht frei ist von Selbstgerechtigkeit, musste zwischen die Mühlsteine des politischen Diskurses geraten. Für die einen ist sie selbstgerechte Nestbeschmutzung des mühsam der Geschichte und der Natur abgerungenen Wohlstandes, den der konservative Teil der reichen Gesellschaften lieber verteidigt sähe als verspottet. Auf diese Gefühle adressieren Markus Söder und andere, wenn sie pauschal „Wokeness“ zum Feindbild erklären.

Und den anderen, den Aktivisten für mehr Gerechtigkeit auf dieser Welt, geht das alles nicht weit genug. Für sie finden die wirklichen Miseren des menschlichen Daseins nicht in der Beziehungslosigkeit eines Biergartenbesuchs statt oder auf der Couch eines Psychotherapeuten, sondern in den Hungerlagern der sonnenversengten Sahelzone, in den Folterkellern im Iran oder in den Fluten des Mittelmeeres, wo Menschen auf der Suche nach Hoffnung gegen ihr Ertrinken ankämpfen.

Da strömt schon die Gruppe die breite Museumstreppe hinab! Gerade hatten sie sich noch mit Cappuccinos gestärkt, nun streben sie der Kunst entgegen – erwartungsvoll, bunt gemischt, multikulturell, in lustig bedruckten T-Shirts und schwingenden Sommerröcken. Sie werden über Eisenmans Kunst lachen und grübeln, sie werden nachdenklich sein, und dann werden sie hinausstreben in ihre reiche, bunte Welt und sagen und singen, was ihnen so einfällt.

 

Weitere Informationen zur Ausstellung „What Happened“ im Museum Brandhorst (noch bis 10. September 2023) in München: https://www.museum-brandhorst.de/ausstellungen/nicole-eisenman/

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Liebe Verbots-Paniker! Ein empörter Brief

Liebe Verbots-Paniker!

Dieses Schreiben richtet sich an Euch. Es richtet sich an solche Mitbürgerinnen und Mitbürger, die bei jeder Diskussion um eine Transformation unserer Gesellschaft herumschreien: „Verbot!“ Wenn diskutiert wird, ob es sinnvoll ist, jetzt noch neue Gas- oder Ölheizungen in unsere Keller zu wuchten – „Verbot!“. Wenn wir diskutieren, ob wir in zwanzig Jahren noch neue (!) Verbrenner-Autos zulassen sollten – „Verbot!“. Wenn Zweifel bestehen, ob es eine kluge Idee ist, rund um Schulen und Kindergärten oder in Kinder-Fernseh-Sendungen für Süßigkeiten zu werben – „Verbot!“. Oder ob ein strengeres Waffenrecht angebracht wäre? – „Verbot!“ Und wenn über ein Tempolimit auf Autobahnen gesprochen wird, oder über Tempo 30 als Regelfall innerhalb von Ortschaften – dann sowieso: „Verbot!“. Wenn das Ausmaß unseres Fleischkonsums kritisch hinterfragt wird – „Verbot!“.

Liebe Verbots-Paniker,

ich kann es nicht mehr hören. Euer Geschrei geht mir auf  die Nerven, weil es mich und die Gesellschaft intellektuell unterfordert. Habt Ihr Eure Kindheit nicht überwunden? Ja, ich erinnere mich selbst gut daran, wie ich es als Kind gehasst habe, etwas verboten zu bekommen. Es war so interessant, was da auf der Herdplatte köchelte. Es war so spannend, was es da hinter dem Bauzaun in der tiefen Grube zu sehen gegeben hätte. Aber ich durfte nicht. Als ich dann selbst Kinder zu erziehen hatte, habe ich mir vorgenommen: Keine Verbote! Und was war das erste, was ich aussprach? Verbote! War das bei Euch anders?

Was hat es mit „verbieten“ zu tun, darüber zu diskutieren, welche Technik sinnvollerweise neu einzubauende Heizungen haben sollten?

Jetzt bitte nicht das Argument: Damals waren wir doch Kinder, aber jetzt sind wir erwachsen! Als ob das eine Garantie wäre, dass wir alles aus purer Vernunft heraus machen: Auto fahren immer nur so schnell, dass es niemanden gefährdet. Leise sein, um niemanden zu stören. Rücksicht üben, wo es möglich ist. Wäre es so, könnten wir auf die ganze Polizei, die Justiz, die Gefängnisse, die Gerichtsvollzieher verzichten. Ist es aber nicht. Wir brauchen Regeln, und dazu zählen auch Verbote.

Und die Freiheit, fragt ihr?

Die Art von Freiheit, die Ihr hier ungebeten ans Tageslicht zerrt, die hatten vielleicht unsere Ur-Vorfahren in der Höhle. Aber seit wir diese verlassen haben, schränken wir uns gegenseitig unsere Freiheit ein, weil sonst ein Zusammenleben nicht funktionieren würde. „Die Freiheit eines jeden beginnt dort, wo die Freiheit eines anderen aufhört“, wusste schon der kluge Immanuel Kant. Freiheit und Regeln gehören zusammen – es gibt das eine nicht ohne das andere.

Verbote begleiten un seren Alltag. Was also soll die dümmliche Verbots-Empörung bei jeder neuen Regel-Diskussion?

Oder wollt Ihr das jetzt ändern? Zulassen, dass jeder Dahergekommene in Euere Wohnung oder euer Haus eindringt?  Schon jetzt ist es verboten, seinen Kindern die Schule vorzuenthalten. Schon jetzt muss jedes Jahr ein Kaminkehrer messen, ob der Dreck aus unseren Schornsteinen noch unter einer bestimmten Höchstgrenze liegt. Schon jetzt müsst Ihr alle zwei Jahre zum TÜV mit Eurer Freiheitskarre. Schon jetzt braucht Ihr einen gültigen Führerschein zum Rumfahren, sonst ist es verboten. Sind das alles auch Verbote, die Ihr abschaffen wollt? Wollt Ihr allen Erstes plattgefahren werden von irgendeinem Troll, der ohne Führerschein und wirksame Bremsen unterwegs ist? Wäre das Eure Freiheit?

Kann man so verblendet sein?

Das darf doch nicht wahr sein, dass man das nicht versteht. Was hat denn das mit „Verbot“ zu tun, wenn eine Gesellschaft die Grenzen zwischen individueller Freiheit und Gemeinwohl immer wieder neu diskutiert? Kann man so verblendet sein, das nicht zu verstehen? Die Erde heizt sich auf, und wir müssen reagieren, um unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Auf dem Herd der Klimakatstrophe kocht die heiße Brühe, und wenn manche das nicht glauben wollen, dann wird es wohl verboten werden, den brodelnden Topf vom Herd zu ziehen. Denn sonst verbrühen wir uns alle.

Also, liebe Verbots-Paniker,

rüstet doch bitte einfach mal ab. Nicht jede Diskussion über eine Veränderung in der Gesellschaft ist ein „Verbot“. Wir diskutieren neue Regeln, und gerne kann jeder aus irgendwelchen, auch egoistischen, Gründen gegen diese oder jene neue Regel sein. In unserer Demokratie könnt ihr dagegen opponieren, die Notwendigkeit bestreiten, dafür werben, darauf schimpfen, was auch immer. Aber lasst bitte die „Verbot!“-Keule im Sack. Verbote sind schon jetzt ein sinnvolles und notwendiges Instrument zur Regelung unseres Zusammenlebens. Es pauschal doof zu finden, dass einem etwas verboten wird, ist kindisch.

Immer noch nicht überzeugt? Es gefällt Euch einfach zu gut, erwachsene Leute billig und populistisch an ihre verbotsgeschwängerten Kindheitserinnerungen zu packen, statt um ihre erwachsene Vernunft zu werben? Dann stellen wir uns mal bitte gemeinsam eine Welt vor, in der es keine Regeln, also auch keine Verbote mehr gibt, in der einfach jeder machen kann, was er will.

Das ist dann grob gesagt die Welt unserer Höhlenvorfahren, in der das Recht des Stärkeren gilt. Keule drauf und fertig. Es gibt genügend Regionen in der Welt, wo man Reste davon besichtigen kann. Und was dort als erstes verboten wird, das ist die eigene Freiheit.

Mit empörten Grüßen

Der #Politikflaneur

 

 

Auf die Idee zu diesem Text hat mich u.a. das kluge Interview mit Ulrich Wegst im Deutschlandfunk Kultur gebracht, das ich zum Nachlesen empfehle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ulrich-wegst-verzicht-100.html

 

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