Die feine Klinge der Ironie

Über Spott und Ironie – und das Buch „Spottlichter“ von Wolfram Hirche

Beim Spott sind die Rollen unfair verteilt. Hat der Spottende seine Freude daran, so leckt der Verspottete sich voller Selbstmitleid die Wunden. „Lieber einen guten Freund verlieren, als auf eine gute Pointe verzichten“, hat der irische Schriftsteller Oscar Wilde einmal die manchmal fatale Wirkung des Spotts zusammengefasst. Wilde lebte extensiv, schonte sich und die, die um ihn waren, nicht, möglicherweise auch nicht mit seinem Spott, und starb ziemlich verbittert und einsam.

Spott ist also für den Sprachfreudigen das, was zu Beginn der Pandemie für den früheren Finanzminister eine Bazooka war – das ganze schwere Geschütz. Das feine Florett in dieser Sport(Spott-?)art der Sprachkunst ist dagegen die Ironie. Sie will nicht verletzen, sondern bloßlegen. Der Unterschied ist fließend, und mancher kann mit ironischem Sprachhumor ganz generell wenig anfangen. Diese Zeitgenossen verziehen dann bei den Scherzen von „heute-Show“, „Anstalt“ oder Böhmermann stirnrunzelnd keine Miene, anstatt schallend zu lachen. Nun ja, was sagt uns das? Nach Meinung des amerikanischen Literaten William Flint Thrall ist „die Fähigkeit, Ironie zu erkennen, einer der sichersten Intelligenztests“.

Spott und Ironie – der Unterschied ist fließend

Ein Satzzeichen für Ironie – so stellte es sich Marcel Bernhardt vor. Durchgesetzt hat sich diese Ergänzung unserer Schrift nicht.

Da schaut´s schlecht aus für den Autor dieser Rezension, der sich folgerichtig keineswegs sicher war, ob die von ihm bierernst im allwissenden Netz recherchierte, nachfolgende Information für bare Münze genommen werden darf: Ein gewisser Franzose namens Alcanter de Brahm (kann ein solcher Name echt sein? Nein.) habe 1899 im wahrsten Sinne des Wortes ernsthaft ein „Ironie-Satzzeichen“ einführen wollen. Schon fürchtete der staunende Ironie-Skeptiker, im Intelligenztest ein weites Mal zu versagen, auch hier wieder einem Spaß aufzusitzen, weil er den Witz nicht durchschaut. Verunsichert schaut er sich um: Ob wohl die intelligenten Freunde der Ironie bereits beobachtend hinter dem sprachlichen Gebüsch sitzen und sich den Bauch halten vor Lachen? „Schau her, der naive Tölpel,“ hört er sie schon glucksen, „da hat er diesen Scherz mit dem Ironiezeichen tatsächlich für möglich gehalten hat.“ Ach, da ist´s nicht mehr weit zum Spott!

Alcanter de Brahm gab´s nicht wirklich. Der musikalisch anmutende Name war ein Pseudonym für den Schriftsteller Marcel Bernhardt (1868-1945). Und der hat tatsächlich ein Plädoyer gehalten für die knochentrockene Kennzeichnung der Ironie via Satzzeichen. Eine etwas wackelige Mischung aus Frage- und Ausrufezeichen sollte für alle klar machen, wo der Spaß aufhört. Übrigens war Bernhardt in bester Gesellschaft. Schon Heinrich Heine hatte dergleichen gefordert. Und auch nach Bernhardt haben weitere Pioniere sich um die orthografische Kennzeichnung der Ironie bemüht, sind bisher aber allesamt an der besonders intelligenten Dudenredaktion gescheitert.

Die Glosse: eine journalistische Herausforderung

Was bleibt uns also? Wir müssen die Ironie weiterhin selbst erkennen. Was ironisch Minderbemittelte dafür brauchen, sind große Ironiker (Achtung: Ironie!). Einer davon ist der Münchner Autor Wolfram Hirche, der seit zehn Jahren für die „Literaturseiten“ seiner Heimatstadt eine regelmäßige Glosse – auch schon wieder so ein unklarer Begriff – schreibt.

Die Glosse sei „die kürzeste, und daher schwierigste journalistische Form“, hob schon der Münchner Publizistikwissenschaftler Emil Dovifat mahnend den akademischen Zeigefinger. Abgesehen von der hochkulturell geprägten Leserschaft großer Bildungsmedien darf man die Glosse getrost als eine vom Aussterben bedrohte Spezies bezeichnen. Dem „meist kurzen und pointierten, oft satirischen oder polemischen, journalistischen Meinungsbeitrag“ (Wikipedia) hat längst der 240-Zeilen-Rotz auf Twitter oder der gerne in spöttischem Grundton daherkommende Podcast den Rang abgelaufen.

Was Markus Söder und Thomas Mann gemeinsam haben

Wolfram Hirche zeigt sich in seinem Buch „Spottlichter“ als ambitionierter Bewahrer dieser Gattung. Seine fast neunzig Glossen beleuchten „mit leichtem Spott und Ironie, scharf, aber nie verletzend“ die seltsamen Seiten des deutschen Kulturlebens (so der Verlag). Als Buch zusammengestellt ist daraus ein ironisches Kompendium des deutschen Literaturbetriebs geworden. Hier wird mit feiner Klinge gefochten, nicht mit der Spott-Bazooka, obwohl der Titel des Buches diesbezüglich etwas in die Irre führt.

Wolfram Hirche zeigt in seinen kurzen Texten größte sprachliche Brillanz und hintersinnig klugen Witz. Er greift auf großes historisches und literarisches Wissen zurück und springt elegant und oft kühn hin und her zwischen früher und heute. „Politdarsteller mit narzisstischem Rufzeichen bevölkern die Szene“, „zumal in Bayern!“, schrieb er beispielsweise im September 2021 in der Glosse „Quanten-Sprüche“, „wir brauchen den tiefen Blick ins Literarische, um Quelle und Folgen dieses ergötzlichen Charaktermodells scharf zu erkennen.“ Elegant schlägt er damit den Bogen von Söder, Johnson und Trump hin zu Thomas Mann und dessen Figur „Felix Krull“. Alles Hochstapler!

Die Sammlung ist ein heiteres und anregendes Buch, wenn auch nicht ohne Wiederholungen (was daran liegt, dass eine Glosse in einer Monatszeitschrift über zehn Jahre Inhalte und Aussagen haben darf, die sich wiederholen – die aber dann, hintereinander in einem Buch gelesen, mitunter redundant wirken). Trotzdem: Die „Spottlichter“ bilden, unterhalten und lassen den literaturbegeisterten Bildungsbürger schmunzeln. Sehen Sie hier ein Ironiezeichen? Nein, nicht nötig.

 

Die „Spottlichter“ von Wolfram Hirche mit (sehr einfallsreichen) Illustrationen von Christopher Oberhuemer sind im Januar 2022 erschienen im Verlag p.machinery und dort, sowie auf den anderen üblichen Plattformen als e-Book zum Spottpreis von 4,99 € erhältlich. Wer ein gedrucktes Exemplar möchte, muss dafür 16,99 € berappen. Link zur Verlagsseite: https://www.pmachinery.de/unsere-bucher/auser-der-reihe/ausser-der-reihe-band-61-70/hirche-wolfram-spottlichter

Weitere Texte als #Kulturflaneur finden Sie hier.

 

 

 

Buchmesse: Drei Erkenntnisse

Nach links, und wieder zurück, nach links und wieder zurück, nach links … entspannt beobachten die rot gekleideten Damen am Einlass der Frankfurter Buchmesse den ausgedehnten Zickzack-Lauf des Besuchers durch den Warteparcours bis zur Ticketkontrolle. Ganz offensichtlich ist seine Kapazität überdimensioniert. Sechs Stunden später, 10.000 Schritte weiter, eine umfassende Ermüdung mehr in Kopf und Beinen: Hier die drei wichtigsten Erkenntnisse des Flaneurs aus der Büchershow:

Er gibt schon genügend Bücher!

Wer ist größer? Asterix und der Frankfurter Messeturm

Wer träumt nicht davon, einmal ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen? Eine wahrnehmbare Anzahl von Ständen auf der Buchmesse 2021 adressiert genau diesen Wunsch: Self-Publishing, Print on Demant, Autorenverlage („Manuskripte willkommen!“) – alles vorhanden. Offen bleibt, ob die Welt auf weitere Bücher wartet. Dem durchschnittlich leseinteressierten Buchmesse-Besucher schwirrt schon noch einer Stunde des Wandelns und Blätterns der Kopf ob der überbordenden Flut der vielen neuen Bücher. Kein Thema, kein Drama, keine Wichtigkeit und keine Belanglosigkeit, offenbar auch kaum eine Lebensgeschichte, die noch nicht erzählt worden wäre. Kein Mensch wartet auf noch ein Buch. Außer auf die eine Geschichte, das den Lesenden in den Strudel von Spannung und Neugierde und Sinnlichkeit hinabzieht, in den sie oder er immer schon hinabgezogen werden wollte. Außer von jener speziellen Lieblingsautorin, außer über den einen speziellen Prominenten, außer natürlich zu dem einen Thema, das nun gerade diesen einen Einzelnen bannt. Und so dreht sich das Rad der Neuerscheinungen doch immer weiter, immer weiter. Es rattert wie ein Hamsterrad. Wir Leser/innen, Autor/innen und die Verlage sind die Hamster, die das Rädchen des eitlen Wahnsinns mit Neugier, extrovertierter Mitteilungsfreunde und geweckten Bedürfnissen immer weiter schnurren lassen.

Achte auf das Licht!

Die Mehrklassengesellschaft zwischen selbstbewussten Großverlagen, die sich wort- und personalstark an repräsentativen Prachtständen präsentieren, und den vielen kleinen Verlagen, die sich an ihrem Norm-Minimalstand noch nicht einmal die Extra-Standbeleuchtung leisten wollen oder können, erinnert an Bertold Brecht: „Denn die einen sind im Dunkeln, und die anderen sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“  Die Scheinwerfer gleißen bei Rowohlt, Penguin, Hanser und Co, wo sich die Menschen Corona-vergessen abstandslos drängeln. An anderen sitzen von den Vortagen ermüdete Standbesetzungen, die ihrerseits erholungssuchend in Büchern blättern oder auf Handyschirmen scrollen, ganz so, als würden sie schon gar nicht mehr damit rechnen, dass sich da noch jemand für ihre im Halbdunkel präsentierte Druckware interessieren könnte. Wenn man nicht genau hinsieht, taumelt man von einem im Lichte zum nächsten. Die Digitalisierung als drohendes Raubtier im Nacken, werden große Verlage immer größer und vermarkten ihre Erfolgstitel weltweit, ohne auf lokale Lizenznehmer angewiesen zu sein. Gleichzeitig ducken sich die Kleinen der Branche in die noch nicht voll ausgeleuchteten Nischen, in denen sie sich ein Überleben erhoffen: Hier eine noch exotischere Story, dort ein noch anspruchsvoller künstlerisch gestalteter Foliant, und da die noch ausgefallenere Marktlücke („Krimi für die Badewanne – wasserfest!“). Übrigens fällt auch jener Stand eines rechtsradikalen Verlages, dessen Vorhandensein auf der Buchmesse viele politische Diskussionen auslöste, eher in die zweite Kategorie. Ganz bestimmt wäre man an ihm ohne Beachtung vorbeigeschlendert, hätte nicht lautstarker Protest gegen seine Präsenz dazu verleitet, sich mit Lupenblick auf die Suche nach dem Skandalstand zu machen. Brecht wusste noch nichts davon, dass Twitter-Getümmel und aufgeregte intellektuelle Diskussionen dazu führen können, dass manche im Dunkeln ganz besonders trefflich ausgeleuchtet werden.

Unbedingt S-Bahn fahren!

Für die Rückfahrt vom Bücherfest zurück ins normale Leben, sollte der Frankfurter Verkehrsverbund einen Extra-Erkenntnis-Aufpreis verlangen dürfen. Es ist eine Lehrminute dafür, wie unendlich weit , die Welten unseres Heute auseinander liegen. Da der Kosmos der Belesenen, die mit Kennerblick in den Büchern blättern, an die Touchscreens touchen, mit bedächtig nach innen gerichtetem Blick den Lesungen zuhören. Und dort die Lebenswucht derjenigen, die sich einen Schal um den Hals schlingen, wenn sie vom Stadion kommen, die überlegen, wie die Arbeit des nächsten Tages aussehen wird, die sich über die letzte Folge ihrer Lieblingsserie unterhalten.  Es sind so viele Menschen, in deren Welt es ganz und gar nicht um Bücher geht, noch viel weniger um das, was in der intellektuellen Blase der Literaturszene ventiliert wird. Muss das unseren vom Buchmesse-Besuch müde gewordenen Blick auf Literatur, Kochbücher, Bildbände oder Comics ändern? Nein. Dass ganze Lebensentwürfe ohne Bücher auskommen, ist nicht neu. Bücher hatten Mönche im Koster, nicht Bauern auf dem Feld. Es war und bleibt bis heute ein Privileg, sich überhaupt mit Gedrucktem beschäftigen zu können. Wir Bücherfreunde sollten es nur nicht vergessen.

Und immer weiter fließt der Strom der Buchstaben: Eine begehbare Lichtinstallation des Gastlandes Kanada. Im Hintergrund gab´s auch noch ein paar gedruckte Bücher.