Rätselhafter Schiffbruch (#36)

Inselkirche Langeoog, Hauptstraße 15a, 26465 Langeoog

Mein Besuch am 30. August 2022

Schiffbruch im Altarbild: Das mutige Werk von Hermann Buß lässt den Besucher rätseln.

Die einfache Backsteinkirche dominiert das Ortsbild des in die Dünen hineingeduckten Ortes Langeoog auf der gleichnamigen ostfriesische  Insel, die seit Jahren eines meiner Urlaubsziele ist. Vor einem Jahr habe ich in meiner Sammlung über die am Ortsrand gelegene, moderne katholische Dünenkirche St. Nikolaus geschrieben, diesmal geht es um die im Ortskern deutlich zentraler platzierte evangelische Inselkirche.

Die Kirche ist schon der fünfte Kirchenbau auf dem windigen Eiland, einer seiner Vorgänger wurde in einer Sturmflut zerstört, andere waren für den anschwellenden Tourismus zu klein geworden. Die heutige Kirche stammt aus dem letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, ist schlank und schmucklos, mit Holzdecke und einer breiten hölzernen Empore, die eine moderne Orgel von 1992 trägt, erhellt durch das Tageslicht, das durch die klaren, nicht farbigen Fenster strömt. Insgesamt ein stimmiges, aber eher zurückhaltendes Raumerlebnis.

Insgesamt ein eher zurückhaltender Raumeindruck: Die Inselkirche von Langeoog bliebe kaum in Erinnerung, wäre da nicht das Altarbild.

Das Highlight der Kirche ist ihr Altarbild. Das 1989 von Hermann Buß geschaffene Gemälde ohne Titel zeugt von bewunderungswürdigem Mut der Kirchengemeinde: In die neugotische Fassung hat der Künstler ein Bild hineingemalt, das auf den ersten Blick keinerlei sakrales Motiv zeigt, sondern eine Schiffbruch-Szene andeutet, eine Menschenmenge davor, vom Betrachter abgewandt, und davor wiederum ein offenbar soeben verlassener Tisch. Ein Abendmahl?

Das rätselhafte Bild, das wohl auch als solches konzipiert ist, hat mich nicht losgelassen bei meinen besuchen in der „Inselkark“, wie sich das Gotteshaus auf friesisch selbst nennt. Auch während einer Orgelmeditation, die ich dort erleben durfte, war der Blick immer auf das Bild gerichtet, das sicherlich der ungewöhnlichste Altareindruck ist, den ich bisher jemals in einer Kirche hatte.

 

Sehr gut zusammengestellte Informationen zur Inselkirche auf der Website der Kirchengemeinde: https://www.inselkark.de/Inselkirche/inselkirche.htm

Uralt, und niemals fertig (#35)

Hoher Dom St. Martin, Markt 10, 55116 Mainz

Mein Besuch am 13. Juli 2022

Es gibt Kirchen, die beeindrucken mit ihrer schieren Größe, mit der Weite der Hallen, mit der himmelwärts strebenden Höhe ihre Säulen, die ein Dach tragen, das sich, dem Himmel gleich, unerreichbar über dem Besucher wölbt. Groß in diesem Sinne ist der Dom von Mainz auch, ein gewaltiges, verschachteltes Raumprogramm aus Lang- und Querhäusern, Seitenkapellen, Krypten, Nebengebäuden und einem Kreuzgang.

Geschichtsunterricht in Stein – das verspricht ein Besuch des Mainzer Doms. Man kann die Kirche aber auch als Symbol dafür erleben, dass sich Veränderung lohnt, wenn man standhalten möchte über ein Jahrtausend.

Aber groß ist diese Kirche vor allem durch seine buchstäblich ins Unbekannte zurückreichende Baugeschichte; erste Ansätze für ein Gotteshaus an dieser Stelle werden für das Jahr 400 n. Chr. vermutet; die „engere“ Baugeschichte dieser Kirche reicht mindestens bis vor das Jahr 1000 zurück. Seither ist dieses Gotteshaus in ungezählten Schritten verändert, umgebaut, erweitert worden, seine Ausstattung wurde dem jeweiligen Zeitgeschmack angepasst und wieder entfernt, der Bau war Opfer von Bränden, absinkendem Rheinwasser, Bomben. Wer den Dom von Mainz besucht, begibt sich in einen steinernen Geschichtsunterricht und kann dort Stunden verbringen, und wird doch immer wieder vor allem eines entdecken:

Dass wir alle Teil ständiger Veränderung sind, dass diese Kirche, so wie unsere ganze Welt,  niemals „fertig“ war oder sein wird, dass es immer weiter gehen kann, solange wir die Kraft aufbringen, das zu achten, was wir übernehmen, und es besser an diejenigen zu übergeben, die nach uns kommen.

So sollte es jedenfalls sein, ging mir durch den Kopf beim kühlen, dunklen Rundgang durch das Riesengebäude, beim Staunen über Jahrhunderte alte Altäre und Gräber, während darüber der Einbau einer hochmodernen, mehrteiligen, elektronisch gesteuerten Orgel vonstatten geht. Aber natürlich gibt es auch dazu keine Gewissheit; viele Kulturen sind einfach untergegangen, wurden dem Erdboden gleich gemacht.

Der Dom hier hat Stand gehalten über mehr als tausend Jahre. Die zwischen eigenem Versagen, historischer Schuld und grassierendem Materialismus zerbröselnden Kirchen  (jetzt die Institutionen, nicht die Gebäude) brauchen solche Symbole dringend, genauso wie eine Gesellschaft, die Gefahr läuft, vor den Herausforderungen von Klimakatastrophe, Wohlstandsgefährdung und kollabierender Welt- und Werteordnung zu kapitulieren.

Ihnen allen sagt dieser Dom: Veränderung lohnt sich, und der Lohn ist Beständigkeit im Vergänglichen.

 

Über den Dom St. Martin in Mainz gibt es ganze Bücher. Eine gute Zusammenfassung der Baugeschichte fand ich hier: https://bistummainz.de/dom-mainz/bauwerk/architektur/

Nach dem Besuch des Mainzer Domes habe ich einen Spaziergang bis St. Stephan gemacht, eine Kirche, die mich mit der Pracht ihrer Kirchenfenster (z.T. von Marc Chagall) tief beeindruckt hat: https://vogtpost.de/sankt-stephan-mainz/30/07/2022/; weitere persönliche Eindrücke von Kirchen aus meiner Sammlung #1000Kirchen finden Sie hier. 

 

Ein Farbeindruck von magischer Fülle (#34)

St. Stephan, Kleine Weißgasse 12, 55116 Mainz

Mein Besuch am 13. Juli 2022

Es war ein strahlender, heißer Sommertag, an dem  ich durch Mainz vom „Kaiserdom“ hinauf zu St. Stephan ging, und als ich dann die Kirche betrat, waren es die Fenster, nur das blaue Licht der Fenster, die mich empfingen. Blau sei eine „kalte Farbe“ heißt es ja immer; ich konnte mit dieser Kategorie noch niemals viel anfangen. Bei 35 Grad draußen jedenfalls war jede Form von Kühle willkommen, und die vollständig in blau getauchte Kirche kam gerade recht.

St. Stephan in Mainz: Detail aus einem der Chagall-Fenster

Ein Zeichen der jüdischen Versöhnung mit Deutschland wollte der aus einer orthodox-jüdischen Familie stammende Künstler Marc Chagall (1887 – 1985) setzen, in dem er sich in seinen späten Jahren bereiterklärte, für St. Stephan in Mainz Kirchenfenster zu gestalten. Es blieb die einzige Kirche in Deutschland, die eine solche versöhnende Auszeichnung erhielt, überhaupt das einzige Bauwerk unter Beteiligung Chagalls auf deutschem Boden. Nach dem Holocaust hatte sich der Künstler von Deutschland abgewandt. Dem Mainzer Pfarrer Klaus Mayer, selbst Sohn eines jüdischen Kaufmanns und der Vernichtung durch die Nationalsozialisten nur knapp entkommen, war es zur allgemeinen Überraschung gelungen, den berühmten Künstler doch noch  für sein Gotteshaus zu gewinnen. Chagall zeichnete die Entwürfe für neun Fenster in Mainz. Die letzten davon wurden im März 1985 eingebaut, kurz nach seinem Tod. Damit ein gläsernes Gesamtkunstwerk entstehen konnte, fehlten allerdings noch mehr als 200 Quadratmeter Glasfläche. Diese füllte Chagalls Freund und Leiter der Glaswerkstätte in Reims, Charles Marq, wo auch schon die Chagall-Fenster entstanden waren. Die letzten Fenster von Marq wurden im Jahr 2000 eingebaut.

Eine Kirche in blau: St. Stephan ist ein gläsernes Gesamtkunstwerk, ein magisches Lichtspektakel.

Entstanden ist ein überwältigender Lichteindruck, der die restliche Kirche überstrahlt. Mit einigen Tagen Abstand habe ich kaum noch eine andere Erinnerung an diese Kirche als das Licht, das blaue Licht, ein Farbeindruck von magischer Fülle. Wie mag sich diese Kirche am Abend anfühlen, oder wenn es draußen regnet? Ich werde wiederkommen müssen.

 

Gut zusammengefasste Informationen zu St. Stephan finden Sie auf der Webseite der Kirchengemeinde: https://bistummainz.de/pfarrei/mainz-st-stephan/chagall-fenster/kirche/

… und über das wechselhafte Leben des Künstlers Marc Chagall u.a. bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Marc_Chagall

Mehr Kirchen aus meiner Sammlung #1000Kirchen finden Sie hier, auch über den Dom St. Martin in Mainz.

Die Kanzel im Mittelpunkt (#33)

Ludwigskirche, Am Ludwigsplatz, 66117 Saarbrücken

Mein Besuch am 12. Juli 2022

Der prominenteste Platz für den predigenden Pastor: In der evangelischen Ludwigskirche von 1775 verschwindet der Altar fast unter der Kanzel.

In strahlend weißem Barock empfängt die Ludwigskirche ihre Besucher, breit angelegt, luftig, in sehr eleganter, zurückhaltender Pracht. Ein Kirchenraum, in dem der Gast sich sofort wohl fühlt; auch ein „demokratischer“ Raum, denn  als sogenannte „Querkirche“ ist die Architektur darauf angelegt, dass sich viele Menschen in geringem Abstand zu Altar, Kanzel und Orgel einfinden können.

Damit ist ein Besonderes an dieser Kirche auch schon gesagt: Ich selbst habe bewusst noch nie einen so bekennend protestantischen Kirchenbau wahrgenommen. Altar, Kanzel und Orgel dominieren als gemeinsames Ensemble den Raum, wobei der Altar optisch fast verschwindet unter der erhöht angebrachten, prächtigen Verkündigungskanzel und der noch prächtigeren Orgel darüber. Hier kommt kein Zweifel auf: Das ist vor allem ein Versammlungsraum für Gläubige, weniger eine Anbetungsstätte, und deshalb darf der die Kirche stiftende Fürst auch eine prächtige eigene Loge, einen Paradeplatz gegenüber dem predigenden Pastor haben. Das alles ist historisch für die 1775 geweihte und nach dem damals regierenden Fürsten Ludwig zu Nassau-Saarbrücken (nicht etwa nach dem heiligen Ludwig) benannte Kirche schlüssig.

Trotzdem ist es ein Fake: Die Kirche wurde im 2. Weltkrieg bis auf die Grundmauern zerstört und in Saarbrücken stritt man mehr als zwanzig Jahre darüber, ob sie historisch oder modern wieder aufgebaut werden soll. Die Traditionalisten haben sich durchgesetzt, und so sehen wir eine Rekonstruktion des Zustandes der Kirche nach den Entwürfen ihres Erbauungs-Architekten Friedrich Joachim Stengel, der auch den Platz um die Kirche als repräsentatives Ensemble gestaltet hat.

Die Emporen der Ludwigskirche werden getragen von allegorischen Darstellungen, die auch ein wenig Sinnlichkeit bringen in den luftigen Kirchenraum.

Mir haben neben der ungewöhnlichen Innenraum-Anordnung vor allem auch die wunderschönen Allegorien gefallen, die die umlaufenden Emporen tragen. Ein ungewöhnlicher Kirchenraum auf einem weiten, barocken Repräsentationsplatz, ein eindrucksvolles Gegenstück zur mittelalterlichen Ortsgestaltung, die in unseren Breiten dominiert.

Jeden Abstecher wert, wenn man auf der naheliegenden Autobahn durch das Saarbrücker Stadtgebiet hindurcheilt!

 

Zur Baugeschichte: http://www.ludwigskirche.de/die-ludwigskirche/geschichte-des-bauwerks/

Weitere Kirchen fin den Sie in meiner Sammlung #1000Kirchen

Himmelstürmend, engagiert (#32)

Mariendom, Domplatz 1, 4020 Linz, Österreich

Mein Besuch am 9. Mai 2022

54 Säulen, 145 Fenster – der neugotische Linzer Mariendom beeindruckt durch seine Weite, die den Besucher zunächst verstummen lässt. Die Dom-Verantwortlichen haben sich aber für einen Rundgang voller Überraschungen viel einfallen lassen.

Mit neugotischen Kirchen ist es ja so eine Sache. Man kennt die „echten“ gotischen, die traumhaften Kathedralen in Frankreich, Belgien, den Niederlande, und auch die großen Bischofskirchen in Deutschland, ist fasziniert von ihrer unvergesslich strahlenden, himmelstürmenden Schönheit, ist voller Ehrfurcht vor ihrem Alter  – und infolge dessen auch voller Skepsis gegenüber den modernen Nachahmer-Bauten.

Mit entsprechend prüfender Haltung habe ich auch den Linzer Mariendom betreten, noch dazu auf direktem Wege aus dem „alten Dom“ kommend, der barockisierten Kirche Anton Bruckners, die, eingeklemmt im Altstadtgewirr von Linz, zu klein geworden war für die Schar der Gläubigen. Der Mariendom wurde daher seit 1862 am Rand der Altstadt auf freiem Gelände neu gebaut und als neue Hauptkirche im Jahr 1924 geweiht, bis 1935 fertiggestellt. Eine ziemlich neue Kirche also, wenn auch keine moderne.

Selten hat mich aber dann ein Kirchenbau so beeindruckt wie dieser. Seine Ausmaße sind riesig, die größte Kirche Österreichs, mehr als 5000 Quadratmeter Grundfläche. Sie durfte aber nicht die höchste ihres Landes werden, da es keiner Kirche in Österreich anstand, höher zu wachsen als der Wiener Stephansdom. Also ist der Turm zwei Meter niedriger. Sonst aber ist das Raumprogramm von einer Weite bestimmt, die den Besucher verstummen lässt. 54 Säulen tragen diesen Riesenbau, 17 Altäre füllen ihn, und trotzdem ist so viel Platz, dass man sich fast verlaufen könnte.

Wann wir jemals wieder der katholische, überhaupt irgendein christlicher Glaube, in Westeuropa wieder so attraktiv sein, um außerhalb Roms ein solches Gebäude zu füllen? Falls das überhaupt ein sinnvolles Ziel ist, falls es also irgendwo gelingen sollte, dann vielleicht in Linz. Der Mariendom, durchflutet vom Licht farbig strotzender Gemäldefenster in nackenstarrend himmlischer Höhe lässt den Besucher nicht in kontemplativer Ruhe. Die Glasbilder dokumentieren zum Teil die Geschichte ihrer Stadt bis zum Zeitpunkt des Kirchenbaus.

Keine Angst vor heiklen Themen: Das Bildprogramm der Gemäldefenster wird zu einer Ausstellung über „Frauenbilder“.

Das Bildprogramm der Fenster holen die offenbar besonders engagierten Dom-Verantwortlichen in Linz mittels Fernrohren in den Lupenblick des interessierten Betrachters, spekulieren dabei über historische Bezüge mit heute diskutierten gesellschaftlichen Fragen. So erfährt man zum Beispiel, warum die im Glasfenster verewigte Valeria, Weggefährtin des hingerichteten Heiligen Florian Männerkleider trägt, vermutlich aber eine Frau war. Und was uns das heute über Identitätsfragen sagt. Welche katholische Kirche traut sich, solche Themen offensiv anzusprechen? Viel zu wenige; im Mariendom geschieht es, klug und einladend.

Eine politische Kirche ist das, auch schon am Eingang, wo eine Gedenkinschrift für den umstrittenen österreichischen Kanzler Dollfuß aus heutiger Sicht historisch neu eingeordnet wird. Und auch das Angebot, auf dem Turm in 68 Metern Höhe eine Woche lang als Schweige-Eremit zu leben, mitten in der Stadt, „nicht sichtbar, und doch präsent“, hebt diese Kirche von anderen ab, was gesellschaftliches Bewusstsein betrifft.

 

Über den Mariendom in Linz finden sich zahlreiche Quellen im Netz.

Wer nicht hinfahren will, kann sich hier alles auch in digitaler 360°-Optik ansehen: https://www.dioezese-linz.at/mariendom/360grad

Über die Ausstellung „Frauenbilder“ informiert dieser Link: https://www.dioezese-linz.at/site/mariendom/home/news/article/202145.html

 

 

 

 

 

 

 

Die Orgel im Schwalbennest (#31)

Die Glasfenster im Dom von Regensburg entstanden über viele Jahrhunderte und tauchen den strengen Bau in buntes Licht.

Dom St. Peter, Domplatz 1, 93047 Regensburg

Mein Besuch am 5. Mai 2022

Die Orgel steht nicht auf der Empore, wo sie doch eigentlich hingehört. Sie steht auch nicht (nur) im Altarraum, wo sie praktisch ist. Sie hängt an der Wand!

Der Regensburger Dom ist ein mächtiges gotisches Bauwerk, fast so groß wie der Dom von Köln, seine beiden Türme überragen und prägen das Stadtbild des mittelalterlichen Weltkulturerbes an der Donau. Wunderbar stimmig scheinen die hohen Wände des Baus durch die engen Gassen, die ihn umgeben; der Besucher fühlt sich wie in Frankreich. Die Baugeschichte von St. Peter zieht sich über die Jahrhunderte hin, beginnt im 13. Jahrhundert und endet nicht mit der Vollendung der markanten Türme Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Dom dieser Größenordnung ist nie „fertig“, sondern muss ständig renoviert und in Stand gehalten werden.

Das Innere des gewaltigen Baues ist streng und farbig; aber das ist kein Widerspruch! Die gotische Strenge ist Ergebnis eines radikalen Rückbaus aller barock-goldenen Elemente, die das Innere des Raumes einmal geprägt haben muss. Man kann sich das kaum vorstellen, wenn man heute zwischen den gewaltigen Säulen herumwandert. Der Mode folgend, wurde im 19. Jahrhundert im Dom fast alles entfernt, was an Stuck und Schnörkeln vorhanden war. Mittelalterliche Glaskunst ist erhalten, der bayerische König Ludwig I. stiftete dazu bunte Glasfenster. Und kluge Ergänzungen kamen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinzu. Entstanden ist so ein gläsernes Gesamtbild, dessen Schein jetzt auf die streng-grauen Pfeiler und Wände fällt. Ein wunderbares Licht! Ich konnte es auf mich wirken lassen während einer schönen, klugen, kurzen Orgel-/Text-Meditation, die im Dom fast täglich zur Mittagszeit angeboten wird.

In schwindelerregender Höhe schwebt die moderne Hauptorgel von 2009 im Querschiff – wie ein Schwalbennest.

Sehr beeindruckt hat mich die moderne Hauptorgel, die erst 2009 eingebaut wurde und jetzt wie ein Schwalbennest in der Höhe des Querschiffs hängt, scheinbar unerreichbar für Menschenhand. Dieses Instrument ist die größte freihängende Orgel der Welt. Mehr als 36 Tonnen wiegt sie, allein die Stahlkonstruktion, die sie trägt, hat angeblich ein Gewicht von sieben Tonnen. Einem Konzert mit diesem Instrument gilt meine nächste Reise nach Regensburg!

Informationen zum Dom St. Peter in Regensburg finden Sie hier: https://domplatz-5.de/dom/

Weitere persönliche Eindrücke aus von mir besuchten Kirchen finden Sie in meiner Sammlung #1000Kirchen.

 

Nah am Wasser (#30)

Backstein und barocke Turmhaube: St. Katharinen in Hamburg hat Brände, Überschwemmungen und Kriege überstanden, und alle haben sie verändert.

Hauptkirche St. Katharinen, Katharinenkirchhof 1, 20457 Hamburg

Mein Besuch am 28. März 2022

Im Eingangsbereich der Kirche erinnert eine Gedenktafel an die 80 Seeleute der „Pamir“. Das Segelschulschiff sank 1957 bei einem Sturm in der öden, salzigen, sich aufbäumenden Meereseinsamkeit des Atlantik, weit weg von jedem rettenden Land. Der Orkan, das tobende Meer und wohl auch zahlreiche menschliche Fehler rissen sie aus ihrem Leben, 45 davon waren „Kadetten“, die noch nicht einmal das 18. Lebensjahr vollendet hatten. Für Landratten wie mich ist die Vorstellung von solchem Geschehen unfassbar schaurig und herausfordernd. Für Menschen, die seit Generationen Matrosen, Seefahrer, Kapitäne in ihren Familien haben, ist es sicherlich nicht weniger erschreckend, aber doch näher an ihrer Gefühlswelt.

Die evangelische Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg liegt in Hafennähe. Seit 1657 trägt ihr geduckter Turm eine markante Barockhaube. Sie leuchtet hinüber in die Speicherstadt, gestaltet die seeseitige Silhouette der Hansestadt mit. Die Ursprünge dieser Kirche gehen auf das 13. Jahrhundert zurück, seither hat das alte Gemäuer Brände, Überschwemmungen, Kriege aushalten müssen, und alles das hat vieles verändert. Heute präsentiert sich die Kirche äußerlich in Backstein, innen überrascht sie mit einem streng weiß gehaltenen, hohen (29 Meter) Innenraum. Dicke Rundsäulen prägen den Raum, die zum Dach hin in gotische Bögen auslaufen und einen weiß getünchten Kirchenhimmel mit goldenen Sternen tragen.

Strenges Weiß, moderne Fenster, goldene Sterne am Kirchenhimmel: Der behutsam modernisierte Innenraum überrascht.

Der ungemein stimmige Innenraum lädt zum Verweilen und Innehalten ein, und daher ist es erfreulich, dass die Kirche auch tagsüber genau dafür geöffnet ist. Dann fällt das bläuliche Licht durch die modernen Kirchenfenster hinein, genau das passende Licht, um an Menschen zu denken, die ihr Leben dem Wasser verschrieben haben.

Weitere Informationen zu St. Katherinen in Hamburg  bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Hauptkirche_Sankt_Katharinen_(Hamburg)

wie auch über den Untergang der „Pamir“: https://de.wikipedia.org/wiki/Pamir_(Schiff)

weitere Kirchen in meiner Sammlung #1000Kirchen

Schwäbisches Rokoko im Abendlicht (#29)

Münster Unserer Lieben Frau, Beda-Sommerberger-Straße 3, 88529 Zwiefalten

Mein Besuch am 13. März 2022

Die Kirchenfront im Abendlicht verrät wenig von der Pracht, die sich dahinter verbirgt …

Obwohl es fast schon dämmert, strömt viel Licht in den strahlend gold-rot-weißen Kirchenraum, der zu den größten in Deutschland zählt. Breite Glasflächen der Fenster lassen das Abendlicht herein, und tausendfach reflektiert es im goldenen Stuck, an den weißen Figuren, die im Kirchenschiff überall thronen.

Schwäbisches Rokoko, v0n Meistern aus der un mittelbaren Umgebung gestaltet, gemalt, geformt, empfängt den Besucher im ungeheizt kalten Kirchensaal . Ein Monument der Kirchenkunst dieses Landstrichs, nicht umsonst an der „Oberschwäbischen Barockstraße“ gelegen. Der Bau stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wurde 1785 vollendet und ist seither unverändert.

Aber der Innenraum strahlt in der weiß-goldenen Pracht des späten Barock, ungestört von späteren Eingriffen.

Und dieser unveränderte Zustand macht ihn besonders. Rote Stuckmarmorsäulen bestimmen das Bild, dazu viel Gold und prächtige Gemälde an der Decke. Die Kirche wirkt auf mich wohltuend „aufgeräumt“, keine Einbauten stören das Gesamtbild, es stehen keine Möbel herum, die da nicht hingehören, keine Kunstwerke aus anderen Epochen lenken von der spätbarocken Pracht ab. Die frühere Klosterkirche ist ein christlicher Luxusbau aus seiner Zeit, in der man Pracht und Reichtum zeigen wollte. Der Raum ist in Ausmaß und Ausstattung einschüchternd groß, aber auch sehr stimmig – und deshalb nicht so demonstrativ stolz, nicht so herrschsüchtig wie z.B. die nur etwa dreißig Kilometer südlich gelegene Basilika in Weingarten.

 

Mehr über Baugeschichte und Ausstattung bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BCnster_Unserer_Lieben_Frau_(Zwiefalten)

Weitere Kirchen aus meiner Sammlung #1000Kirchen finden Sie hier.

Die Größte ihrer Art nördlich der Alpen (#28)

Basilika St. Martin, Kirchpl. 2, 88250 Weingarten

Mein Besuch am 23. Februar 2022

Ein gewaltiges Bauwerk, halb so groß wie der Petersdom, thront über dem kleinen Städtchen Weingarten: Basilika St. Martin.

Stolz thront diese Kirche am Hang, prächtig und riesig. Wenn man sie betritt, überwölbt das (derzeit zum Teil eingerüstete) Innere den Besucher in himmelstrebender Höhe, überschüttet  ihn mit geschwungenem Barock, macht ihn klein und winzig in diesem übergroßen Kirchenbau.

Woher kommt meine Freude am Kirchenbesuch? Vielleicht auch daher: Im Herbst 1951 besuchten meine Eltern auf einer ihrer ersten Reisen nach dem Neuanfang als Flüchtlinge auch diese Kirche. Das war vier Jahre nach der Rückkehr meines Vaters aus der Kriegsgefangenschaft. Ich weiß das, weil meine Mutter darüber ein Tagebuch geführt hat. Ich zitiere daher einfach einmal ihre Ausführungen von damals:

„Ziel war die größte Barockkirche Deutschlands, riesenhaft auf einem Berg gebaut. Baumeister ein gewisser Herr Moosbrugger, Gemälde von Asam. Die Kirche ist dreischiffig, hat eine Kuppel und erinnert ein bisschen an den Petersdom. Sie soll vom italienischen Barock beeinflusst sein, was man auch merkt. … Reizend ist das holzgeschnitzte Chorgestühl, wunderschön die Orgelgliederung, bemerkenswert die Fensteranordnung.“

Die mit der Anordnung der Orgel abgestimmte Fenstergliederung bewunderte schon meine Mutter vor 70 Jahren.

Was würde ich heute, 70 Jahre später, nach meinem Besuch ergänzen wollen? Vielleicht die schlichte Information, dass der Baumeister tatsächlich anstrebte, die Kirche orientiert an den hälftigen Ausmaßen des Petersdoms zu errichten. Herausgekommen ist ein fast übermütiges Bauwerk, dem aus heutiger Sicht die Demut einer Kirche fehlt, die nicht durch Pracht einschüchtern, sondern durch Großmut für sich werben muss.

Für meine kirchenliebenden Eltern habe ich in dieser Basilika zwei Kerzen entzündet, und bin dann durch die nette Innenstadt von Weingarten geschlendert.

 

Wikipedia zur Basilika St. Martin in Weingarten: https://de.wikipedia.org/wiki/Basilika_St._Martin_(Weingarten)

Weitere Kirchen in meiner Sammlung #1000Kirchen.

 

 

 

Die schwäbische Valentins-Kirche (#27)

Pfarrkirche St. Michael, Burgberg, 86381 Krumbach (Schwaben)

Mein Besuch am 12. Februar 2022

St. Michael dominiert das Stadtbild von Krumbach.

Gelockt hat mich in diese Kirche die Geschichte des heiligen Valentin, des Namensgebers unseres „Valentinstages“. Unter den zahlreichen Gotteshäusern, die für sich in Anspruch nehmen, eine Valentins-Reliquie ihr Eigen zu nennen, zählt auch St. Michael.

Das stolze Gebäude steht am Rande der Krumbacher Altstadt oberhalb eines kleinen Flüsschens und beherrscht das Gewirr der einladenden Gassen des Städtchens, eine unbestrittene Dominante. Rokoko begrüßt den Besucher, der die Kirche betritt. Der Innenraum ist weitgehend in Weiß gehalten, Heiligenfiguren stehen im Kreis herum, prächtige Altäre ziehen den Blick an, keine Säule stört den Blick. Überall glänzt das Gold und strahlt der Marmor, und eine prächtige Deckenmalerei erzählt uns vom Teufel und dem göttlichen Plan zur Errettung der Welt.

Weiß, Gold und Rot – ein bunter, sinnlicher Innenraum, ….

Die Kirche wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts neu errichtet, wobei Mauerreste von Vorgängerbauten, insbesondere der Turm, einbezogen wurden, aber auf ein einheitliches barockes Bild von außen wie im Inneren geachtet wurde. Ich neige eher der Ästhetik der strengen Gotik zu, die Fülle von bunten Bibeldarstellungen, plastischen Engelen und frommen Figuren treibt mich stets in eine Abwehrhaltung gegen allzu viel missionarischem Eifer beim Kirchenbesuch. Das ist natürlich ungerecht. Und die ganz große Kunst in diesem Stil, wie sie zum Beispiel in der weiter südlich am Alpenrand gelegenen Wieskirche zu besichtigen ist, hat das Krumbacher Gotteshaus leider nicht zu bieten.

… und dazu ein eigener Altar für Valentin, den Märtyrer, zum Valentinstag passend geschmückt.

Dafür einen Valentin (wenn auch nicht den vom Valentinstag). Das Skelett lagert hinter Glas im linken Seitenaltar, beschriftet als „Valentin, Märtyrer“. Geschmückt war er zwei Tage vor dem „Valentinstag“ mit vielen bunten Blumen und roten Herzen. Nun ja. Ruhe er in Frieden.

 

Eine gute Zusammenfassung der Baugeschichte von St. Michael findet sich auf der Website der Pfarrgemeinde: http://www.st-michael-krumbach.de/

Zu den verschiedenen Valentin-Persönlichkeiten gibt es hier mehr: https://vogtpost.de/valentin/17/02/2022/