Im Brieselang (31. Mai 2021)

„Heute schon bewegt?“ mahnt das Hashtag in einer Chatgruppe täglich mehrfach den Flaneur. Was für eine Frage! Das Erkunden der großen Stadt Berlin und ihrer noch größeren Umgebung ist Bewegung an sich. Aber in Zeiten von Couch-Potatoes, von Serien-Sucht, Sitzberufen im Büro wie im Homeoffice, gilt das Sitzen bekanntlich als „das neue Rauchen“. Zwei Autoren haben so ihr Buch genannt, in dem es – wenig überraschend – um ein Bewegungsprogramm für Vielsitzer geht. Aber Bewegen allein ist nicht genug. Wir wollen auch darüber reden: Wir feiern jeden Schritt, jeden er-radelten Kilometer, jedes gestemmte Kilo, wir „teilen“ es und machen es so zum Gegenstand eigener Motivation und fremder Bewunderung.

2430 Seiten, 99 Cent

Nach und nach, im Laufe von insgesamt 27 Jahren ab 1862, hat der Berliner Schriftsteller Theodor Fontane seine Heimat rund um Berlin durchwandert. Auch er „teilte“ seine Erlebnisse, zunächst in Aufsätzen für die Zeitung, später zusammengefasst in dicken Büchern. Der sportliche Aspekt fand dabei allenfalls im Hinterkopf statt. Fontane ging es um die alten Geschichten, Gerüchte und Sagen rund um die vielen Orte, die er aufsuchte. Ihm war die Wahrnehmung von Natur und Kultur wichtig. Für 99 Cent kann man sich heute die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ auf den e-Reader laden, fünf Bände mit 2430 Seiten, und damit handlich geeignet als Wanderbegleiter.

St. Nikolai in Berlin-Spandau

Aber auch nützlich? Der Flaneur macht sich auf, dem berühmten Dichter auf eine der beschriebenen Wanderungen hinterher zu folgen. Start in Berlin-Spandau. Fontane suchte die damals noch eigenständige Stadt auf, um den Kirchturm der St.-Nikolai-Kirche zu besteigen, und er durfte tatsächlich hinauf auf den Turm. In seinem Text sinnierte er beim Hochsteigen über die Vorteile von spiralförmiger Ausgestaltung eines Turmaufstiegs gegenüber zu langen geraden Holztreppen und spottete über die vertrackte Vielfalt der Schlösser. An all das ist für den Besucher von heute nicht zu denken. Fest verschlossen ist die Turmtür und kein Hinweis lässt hoffen, dass ein Besteigen möglich wäre. Also müssen wir uns auf das verlassen, was Fontane beschrieb, nachdem er endlich die offene, nicht verglaste Aussichtskanzel auf der Kirchturmspitze erreicht hatte: „Ostwärts im grauen Dämmer die Türme von Berlin, nördlich, südlich die bucht- und seereiche Havel, inselbetupfelt, nach Westen hin aber ein breites, kaum hier und da von einer Hügelwelle durchbrochenes Flachland – das Havelland.“

Dort im Havelland hat Fontane einen Wald mit einem eigenen Kapitel bedacht: den „Brieselang“. Das Datum, an dem Fontane seine Wanderung durch diesen Wald absolvierte, ist genau benannt, es war der 22. Mai 1870, ein warmer, schwül-gewittriger Tag, wie dem Text zu entnehmen ist. Ausgehend von einem Gasthaus „Finkenkrug“ ging die Wanderroute, mit einer Rast in der Försterei inmitten des mächtigen Waldes, bis hin zu einer Eiche, die damals als „Königseiche“ bis Berlin hin bekannt war.  Denn „nur erst, wer bei der Königseiche steht, der den Brieselang hinter sich hat, kann mitsprechen!“, ruft uns Fontane wildromantisch zu. Mitsprechen ist angesagt in unseren kommunikativen Zeiten. Also auf in den Brieselang!

Im Finkenkrug gibt es kein Bier mehr, …

Das Unternehmen gestaltet sich schon bald problematischer als gedacht. Der Weg ist nach einer neuzeitlich aktualisierten Planung auf Maps zwar anspruchsvoll, aber doch auch der durch jahrelange Schreibtischarbeit geschwächten Muskulatur des Nach-Wanderers noch zuzutrauen. Leider ist aber nichts mehr zu finden von allem, was Fontane beschreibt. Der „Finkenkrug“ ist keine umtriebige Gastwirtschaft mehr, in der zwischen „links Kaffee und Kegelbahn, recht ist Bier und Büchsenstand“ zu wählen wäre. Fontane entschied sich für die einladende Außengastronomie des Cafés, und ließ sich dorthin das Bier bringen, was offenbar auch funktioniert hat. Heute trägt ein Ortsteil von Falkensee diesen Namen, gänzlich ohne gastronomisches Angebot. Die Försterei, in der Fontane und seine Wandergesellschaft so humorige Gespräche mit dem Förster und seiner Familie führen konnte, so viel zu hören bekam über die wilden Gewitter im Brieselang, ist ersetzt durch einen schmucken Neubau. Auch hier keine Einkehrmöglichkeit mehr. Der weitere Weg durch den Wald führt vorbei am lauschigen Waldfriedhof der Gemeinde Brieselang, den es vor 150 Jahren noch nicht gab und der jeden vorbeiziehenden Gast nur neidisch machen kann auf alle, die für sich einen solchen lauschigen, Laub-umrauschten und Vogel-umzwitscherten letzten Ruheplatz gefunden haben, wenn es denn unbedingt sein muss.

… also Rast auf dem Friedhof.

Der Waldfriedhof im Brieselang

Ein paar wenige gräberpflegende Brieselanger sind da zu beobachten, und vorbeiziehende Jogger, kilometerfressende Radfahrer oder um ein gemeinsames Fahrttempo ringende Familien. Fontane hatte auf seinem Weg durch den Brieselang originelle Begegnungen mit Naturfreunden: Da waren Sammler aller Art unterwegs – auf der Jagd nach Kräutern, nach Käfern, nach Schmetterlingen, nach Schlangen und Fröschen und Vogeleiern. Ein solcher Käferfreund kam für den Dichter sogar leibhaftig aus dem Unterholz und begleitete ihn ein Stück des Weges, plaudernd über die Vielfalt von Flora und Fauna.

Die Beweglichen von heute sammeln keine Kräuter oder Käfer, und Zeit für einen Plausch haben sie auch nicht. Sie sammeln Schritte, Kilometer und Kardiopunkte. Sie treiben sich durch das Gehölz, nur selten zuckt der konzentrierte Sportlerkopf zur Seite: Was war das da für ein geschäftiges Geraschel der Vögel im Gebüsch? Den gehetzten Blick auf die Daten am Armgelenk gerichtet, bleibt das lautlos-emsige Treiben der Ameisen unerkannt. Und das Surren des eBikes übertönt jedes Rauschen des Eichenlaubs, wie es anschwillt und verebbt im Wind dieses kühlen Maitages.

Die „Königseiche“

Eichenlaub! Jetzt aber endlich auf zur Königseiche! Schon die Lektüre der „Wanderungen“ macht skeptisch: „Sie steht da wie ein Riesenskelett mit gen Himmel gehobenen Händen.“ Fontane sah nur einen toten Baum, dessen Ausmaß ihn immerhin schwer beeindruckt hat: um die 30 Meter hoch, „man braucht zwanzig Schritt, um ihn zu umschreiten“. Als die wandernden Herren von 1870 den berühmten Baum endlich erreicht hatten, erhoben sie voller Respekt und Hochachtung die mitgeführte Wein-Proviantflasche auf den Baum und gaben seinem toten Stamm sogar einen eigenen Schoppen ab. Der mächtige Baum, dessen Alter die Waldkundigen schon damals auf etwa 1000 Jahre geschätzt hatten, war bei Fontanes Wanderung bereits seit drei Jahren abgestorben. Den Förster zitiert Fontane mit der Prognose: „Er steht noch hundert Jahr.“

Vor 150 Jahren war die Eiche auch ein Symbol für Deutschtümelei, eine Annäherung an die Unvergänglichkeit Preußens. Sie war auch eine besonders prominente „Jahneiche“, eine Kultstätte für nationalistisch motivierte Bewegungsfreude. Für einen Besuch der Königseiche nahmen die Turner und andere Sportbegeisterte aus Berlin die lange Anreise in Kauf, um sich deutschtümelnd körperlich zu ertüchtigen. Fontane schildert all dies und zitiert distanzlos jene Ehrentafel, die an dem großen Baum angebracht war: „Eiche, hehre, stolze, freie – sieh: Dein Volk wird auferstehen!“

Da lacht das grüne Herz

Heute schon bewegt? Hoffentlich im Kopf. Dort und im Wohnzimmer sollte die Eichenholz-Schrankwand verbannt sein. Wenn wir heute Fontane lesen, können wir uns auf die Ökologie stürzen: „Eine Welt von Getier bewohnt die alte Eiche. Der Bockkäfer in wahren Riesenexemplaren hat sich zu Hunderten eingenistet, am ersten großen Ast schwärmen Waldbienen um ihren Stock, und im kahlen Geäst, höher hinaus, haben zahllose Spechte ihre Nestlöcher.“ Da lacht das grüne Herz, das heute so umkämpft ist, wie damals das nation ale Selbstbewusstsein.

Aber wo ist denn nun dieser prominente Baum? Die unpräzise Wegbeschreibung von 1870 hilft nicht weiter, aber wohl ein Blick ins Internet: Die Hundert-Jahre-Prognose der Förster stellte sich schon bald als falsch heraus. Der Baum wurde 1896 von einem Blitz getroffen, brannte, und sein Torso stürzte schließlich um. Angeblich sind heute noch Reste davon zu sehen (aber dem Flaneur gelang es nicht, diese Stelle zu finden). Ein „neuer“ Baum soll jetzt erinnern an die Stelle der alten Königseiche. Vor mehr als hundert Jahren gepflanzt, ist sie auch schon ein sehr stattlicher Baum, und kann doch noch immer kaum ein Enkel des mächtigen Ahnen sein.

Wenn wir Menschen es zulassen, leben Bäume eben in anderen zeitlichen Dimensionen. Und das, obwohl sie sich überhaupt nicht bewegen. Heute schon nachgedacht? Na klar, im Brieselang!

 

Fontanes Text über den Brieselang findet man auch online hier:

http://www.zeno.org/Literatur/M/Fontane,+Theodor/Reisebilder/Wanderungen+durch+die+Mark+Brandenburg/Havelland/Spandau+und+Umgebung/Der+Brieselang

Ein schönes Bild der originalen „Königseiche“ im Brieselang findet sich auf der Website der Gemeinde Schoenwalde-Glien:

https://www.schoenwalde-glien.de/city_info/webaccessibility/index.cfm?item_id=853017&waid=114&modul_id=5&record_id=147837

Über die St. Nikolai-Kirche in Spandau habe ich auch in meiner Sammlung #1000Kirchen geschrieben: https://vogtpost.de/st-nikolai-berlin-spandau-0008/01/06/2021/

 

 

Eine Kirche bekennt sich zu ihrer Geschichte (#0007)

Johanneskirche Frohnau, Zeltinger Platz 18, 13465 Berlin

Mein Besuch am 17. Mai 2021

Johanneskirche Frohnau

Das findet man selten: Eine Kirche bekennt sich klar zu ihrer Geschichte, nicht nur kunsthistorisch, sondern auch politisch. „Die Johanneskirche ist ein Kirchenbau aus nationalsozialistischer Zeit“, schreibt die Ev. Kirchengemeinde im ausliegenden Informationsblatt. Die Grundsteinlegung erfolgt 1935. Während mich in anderen Kirchen Gedenktafeln für gefallene Soldaten irritieren (die es auch hier gab, aber zu DDR-Zeiten entfernt wurde), findet sich hier nun vor der Kirche ein Gedenkstein für die aus Frohnau verschleppten und ermordeten jüdischen Bürger.

Die Kirche mit ihrem massigen, sehr wehrhaft wirkenden Backsteinturm passt sich ein in die architektonische Idee der Gartenstadt Frohnau, die früher entstand und bis heute einen einladenden Zauber verbreitet mit der klaren städtebaulichen Struktur und dem vielen Grün, in dem die niedrigen Häuser und Villen nahezu verschwinden.

Johanneskirche Frohnau

Das Kirchenschiff wirkt tatsächlich wie ein umgedrehter Schiffsrumpf. In spitzen Bögen überspannen die Träger den weiten Raum, der damit sehr offen und und licht wirkt. Der Altarraum ist durch einige Treppenstufen abgesetzt. Kerzen auf den Stufen laden zu einem meditativen Moment ein. Oder zum Studium des wirklich informativen, bereits erwähnten Informationsblattes, das sich „geistliches Portrait der Johanneskirche“ nennt, aber viel mehr ist – nämlich eine selten gefundene, kluge Auseinandersetzung mit dem eigenen Kirchenraum, informativ, selbstkritisch und anregend. Der Text kann auch im Internet auf der Website der Kirchengemeinde nachgelesen werden:

https://www.ekg-frohnau.de/page/6561/die-johanneskirche

Mehr über die Geschichte der Gartenstadt Frohnau bei Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Berlin-Frohnau

 

Sonderzug nach Schönhausen (25. Mai 2021)

Schloss Schönhausen in Berlin-Pankow

Wie muss man sich das vorstellen, wenn darüber entschieden wird, den eigenen Staat einzumauern? Als Walter Ulbricht im Juni 1961 seine weltberühmte Lüge sächselte, wonach „niemand“ die Absicht habe, „eine Mauer zu bauen“, war er Hausherr im Schloss Schönhausen. Das Schloss im Berliner Norden war nach vielen Umwegen und Verwerfungen der deutschen Geschichte zu seiner Zeit Amtssitz des Staatsoberhauptes der DDR geworden. Und da dem jungen Arbeiter- und Bauernstaat die Menschen davonliefen, plante Ulbricht bekanntlich trotz allem, was er sagte, eine Mauer.

Wer möchte, kann sich im Schönhauser Schloss das Büro ansehen, in dem dies geschah: Schwere Eichenmöbel, ein riesiger Schreibtisch, tiefe Sessel, alles im Original erhalten. Trank man importierten Cognac? Oder einheimisches Bier? Oder standen nur Wasserkaraffen auf dem Tisch, als der Plan für die Abtrennung Ost- von Westdeutschland und die Mauer durch Berlin geplant wurde? Gab es Häppchen? Oder Kekse? Lagen Pläne auf den Tischen? Wurde geraucht? Waren auch Frauen dabei oder blieb es eine Männerrunde? Das kann auch die freundliche Aufsichtsdame der Stiftung preußischer Schlösser und Gärten nicht beantworten.

Historiker und Archivare könnten es vermutlich wissen; aber der Flaneur bedient sich ohnehin lieber seiner Fantasie. Denn draußen, im Schönhauser Schlosspark, hat dieser Ortes die Fantasie bereits beflügelt: Als über die Mauer durch Deutschland entschieden wurde, war ihr Vorbild bereits da, wenige Meter entfernt vom Ort des Geschehens: trennend, ausgrenzend, wuchtig.

Die kleine Mauer von Schönhausen

Die Schlossmauer von Schönhausen

Wie kann das sein? In den 50er Jahren hatten die Verantwortlichen der DDR entschieden, den größeren Teil des alten königlichen Schönhauser Schlossparks abzutrennen und für die allgemeine Öffentlichkeit freizugeben. Der kleinere Teil des Parks aber, unmittelbar um das Schloss gelegen, wurde mit einer hohen Mauer abgetrennt, damit das Staatsoberhaupt in Sicherheit seinen Geschäften nachgehen konnte. Diese Mauer teilt den Park bis heute. Wer das Schloss umrundet, schlendert unter den Jahrhunderte alten Bäumen auf fein gezogenen Wegen dahin, vorbei an der Brunnenfontäne, vorbei am alten Teehaus – und schon stößt er auf die Mauer. Eine respektable Steinwand, mehr als zwei Meter hoch, dahinter das einfache Volk, davor ein sorgsam freigehaltener Streifen, Patrouillen-tauglich für gut bewaffnete Beschützer des Amtssitzes. Sogar die Leuchten sind noch da, mit deren Hilfe einst diese innere Grenze ausgeleuchtet wurde. Wenn auch zerstört, verbeult, verrostet, zeugen sie doch von Zeiten, da hier in Pankow hinter Mauern über Mauern entschieden wurde.

Hierhin sollte Lindenbergs Sonderzug fahren

Als Udo Lindenberg 1983 in seiner frechen innerdeutschen Musikprovokation singend einen „Sonderzug nach Pankow“ verlangte, hinderte ihn die große Mauer an der Reise. Sein gedankliches Ziel war dieses Schloss Schönhausen im Berliner Bezirk Pankow, wo er Erich Honecker vermutete. Der Hamburger Panikrocker war allerdings nicht up to date. Ulbrichts Nachfolger, laut Udo Lindenberg „eigentlich auch ein Rocker“, war längst in das neue Staatsratsgebäude in die Berliner Innenstadt umgezogen und eben doch ein „sturer Schrat“, wie Lindenberg im Lied schon befürchtet hatte. Über den Spott des West-Musikers soll er nachhaltig verstimmt gewesen sein. Lindenberg durfte trotzdem ein paar Monate später tatsächlich kurz in Ostberlin singen, wenn auch nicht dieses Lied. Eine Tournee scheiterte an politischen Auflagen.

Udo Lindenberg hatte mit seinem Ruf nach einem Sonderzug nach Pankow im Westen großen wirtschaftlichen Erfolg. Im Osten schuf er ganz nebenbei eine heimliche Hymne für Öffnung und Erneuerung. Vielleicht hat auch ein wenig sein freches Lied dazu beigetragen, die Entfremdung zwischen Volk und Führung in der DDR wahrnehmbarer, aussprechbarer zu machen. Dennoch blieb die Intervention des in Hamburg lebenden Künstlers Lindenberg ein risikoloser Angriff von außen, war gewissermaßen so mutig wie das Bemalen der Westseite der Mauer mit Freiheitsparolen.

Kein Sonderzug für Wolf Biermann

Für den in Hamburg geborenen Liedermacher und DDR-Dissidenten Wolf Biermann ging es da schon um viel mehr, als er sich 1976 in einen Zug (wenn auch keinen Sonderzug, sondern eine schlichte Berliner S-Bahn) setzte, um mit Genehmigung seines Staates zu einer Konzertreise in den Westen aufzubrechen. Wenige Tage später bliebt für ihn nach einem als zu regime-kritisch verstandenen Konzert in Köln die Mauer geschlossen. Biermann wartete 13 Jahre, bis er am 1. Dezember 1989, drei Wochen nach dem Mauerfall, in Leipzig wieder ein Konzert in der DDR geben konnte. Vor 5000 Menschen, übertragen vom west- wie vom ostdeutschen Fernsehen. Was für ein Triumpf der Lieder über die Mauern!

Man kann sich das Konzert und die wütend-bissige Abrechnung Biermanns gegen die greisen Männer der DDR-Staatsführung auf Youtube ansehen; mehr als drei Stunden, die jeden Zuhörer auf eine Zeitreise in die deutsche Geschichte hineinreißen, gewissermaßen ein virtueller Sonderzug nach Leipzig. Inzwischen ist Biermann Berliner Ehrenbürger, lebt aber wieder in Hamburg.

„Berlin tut weh“

Hier schlief Michail Gorbatschow und viele andere Staatsgäste der DDR

Politisch fern gehalten hat sich der dritte im Bund der Liedermacher, die durch diesen Text ziehen. Reinhard Mey hat den beiden anderen voraus, dass er ein echter Berliner ist, dort geboren und bis heute zu Hause. „Berlin tut weh“, klagt eines seiner Lieder, das noch in der Zeit des Kalten Krieges entstand. Mey hadert darin mit seiner Heimatstadt: „Du hast mich um ein Stück Freiheit betrogen, mich, der nichts Teureres als Freiheit weiß…“ „Staatsmann und Hinterbänkler“, singt Mey, „alle kamen mit großen Sprüchen und mit Prunk und Pracht“. Politischer wird´s bei Reinhard Mey nicht, und gemeint hat er wohl die Besuche westlicher Größen im eingeschlossenen Westberlin: Kennedy, Elisabeth II., de Gaulle. Und eher nicht die Staatsgäste der DDR, die inzwischen im zum Gästehaus umgebauten Schönhauser Schloss hinter verschlossenen Toren und einer hohen Mauer nächtigten, wie Jassir Arafat, Fidel Castro oder Michael Gorbatschow.

Der Fahnenmast hat ausgedient

Was für ein verändertes Bild bietet das schöne schlichte Sommerschloss der Königin Elisabeth Christine von Preußen heute: Offen steht das Tor, ein Gartencafé begrüßt den Besucher, Bänke laden zum Verweilen unter den Kastanienbäumen ein, welche die Allee zum Schloss hin säumen. Kinder spielen, Radler kreuzen, Hunde tollen herum. Der Fahnenmast hat ausgedient, sein Seilzug klappert nutzlos im Wind. Zugewachsen und verfallen sind die Garagen, in denen die eskortierten Karossen der Staatsgäste zuletzt parkten. Nur die Mauer hinter dem Schloss, mit ihren verrosteten Scheinwerfern, mit dem gepflasterten Pfad für die Wachsoldaten, die ist immer noch da.

Mehr Informationen zur sehr wechselvollen Geschichte von Schloss Schönhausen bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Sch%C3%B6nhausen

Udo-Lindenbergs Sonderzug nach Pankow auf Youtube:

 

Das legendäre Konzert von Wolf Biermann am 1. Dezember 1989 in Leipzig:

Und das Lied „Berlin tut weh“ mit Reinhard Mey:

 

 

Von Regeln und Rasenflächen (19. Mai 2021)

Nennen wir ihn Joe. Joe ist 25 Jahre alt, studiert in Berlin und arbeitet nebenbei als Wolt-Fahrer. Für ihn gilt nur eine Regel: Vorankommen und ankommen. Wolt ist ein finnisches Startup, das im Berliner Straßenbild omnipräsent ist. Auf jedem Radweg, durch jede Straße jagt eine oder ein Wolt-Radler/in dahin, den würfelförmigen blauen Thermo-Kubus auf dem Rücken. Es gilt, den Boom-Markt der Essenslieferungen zu erobern. Überarbeitete Businessleute, übermüdete Familien mit Kleinkindern, kochuntaugliche Singles – das sind die Zielgruppen, allesamt hungrig und ungeduldig.  Joe will möglichst viel Geld in möglichst kurzer Zeit verdienen, mit Fahrradfahren, was auch ohne Kasten auf dem Rücken seine Leidenschaft ist. Joe muss schnell sein, damit er sich einen guten Stundenlohn erarbeitet, wozu auch gehört, dass das Essen nicht kalt wird. Sein Trinkgeld steigt mit der Zufriedenheit der Kunden, und die mögen kein kaltes Essen. Also hält Joe auch wenig von Verkehrsregeln. Vorankommen, das Essen wird kalt!

Berlin wirbt für Abstand

In Berlin gelten unzählige Regeln. Joes Jagdrevier der Neuzeit ist der Straßenverkehr, nehmen wir also diesen als Beispiel. Verkehrsschilder, Ampeln, Straßenmarkierungen versuchen, das Regelwerk unseres mobilen Zusammenlebens zur Geltung zu bringen. Aber oft siegt die Anarchie: Markierungen sind für viele Autofahrer nur eine Empfehlung, vor der Kreuzung herrscht ein spurenübergreifendes Geschiebe wie in Palermo. Jeder will vorankommen! Das Mantra der gehetzten Dynamik steht über jeder Regel. Regelwidriges Anhalten in zweiter Parkreihe zum Liefern ist Alltag. Wie sollte es auch anders sein? Im Halteverbot am Straßenrand stehen Autos kreuz und quer, und irgendwie muss die Fracht ja zum Ziel kommen. Der nächste Kunde wartet auf seine Pakete! Rotlicht für Fußgänger? Eher eine Empfehlung. Tempo 30? Gilt nicht für Taxifahrer und andere, die es eilig haben. Vorankommen! In diesem Getriebe ist Wolt-Fahrer Joe nur ein kleines Rädchen. Rote Ampel beachten, wenn gerade keiner kommt? Handyverbot im Straßenverkehr? Das kostet Joe alles Zeit und damit Geld. Also rüber auf die andere Straßenseite, dem hungrigen Kunden ein paar Meter, ein paar Sekunden näher. Und dabei noch schnell ein Blick aufs Handy, den nächsten Auftrag annehmen – alles normal. Vorankommen!

„Is´ mir egal“ heißt die Hymne der Regelübertretung

Die Erfahrung der alltäglichen Regelübertretung prägt das Leben in Berlin. Wer sich immer an alle Regeln halten würde, käme schlicht nicht durch, wäre der sprichwörtlich „Dumme“. Die Verantwortlichen dieser Stadt sind demütig geworden gegenüber dieser Logik. Sie versuchen sich daher in einer unterhaltsamen Balance aus Repression und Kreativität. Im Stadtbild ist Polizei gut präsent, aber gleichzeitig wirbt Berlin kreativ für die freiwillige Einhaltung ihrer Regeln, bettelt geradezu um die Vernunft ihrer Bürger: „1,5 Meter = 1 Pony“ oder „1,5 Meter = 3 Corgies“ blödelt in der Pandemie das Plakat an den Haltestellen von Bus und Bahn, daneben steht dichtgedrängt der Fahrgastpulk mit tief unter der Nase sitzenden Masken. „Krassere Öffnungszeiten als Dein Späti!“ kündet der flotte Spruch auf dem überfüllten öffentlichen Müllbehälter, darunter ein Berg von Abfall.

Kreativität entsteht dort, wo es erlaubt ist, Regeln nicht allzu ernst zu nehmen. „Is mir egal“, singt der schon früh verstorbene Kazim Akboga auf Youtube im Auftrag der Berliner Verkehrsbetriebe. Egal ist ihm angeblich, wenn Leute mit einem Pferd in der U-Bahn stehen oder in der Straßenbahn Zwiebeln schneiden, Hauptsache, man hat ein gültiges Ticket. Die überaus witzige und geistreiche Berliner Hymne auf die bunte Dynamik der Regelübertretung wurde schon über zehn Millionen Mal geklickt.

Eine falsche Uniform macht Eindruck …

Den falschen Hauptmann von Köpenick ehrt ein Denkmal …

Eine der originellsten Regelübertretungen in Berlin verdanken wir dem Schuhmacher und kreativen Kleinkriminellen Wilhelm Voigt. Seine Dreistigkeit machte ihn und den heutigen Berliner Stadtteil Köpenick weltbekannt. Der Begriff „Köpenickiade“ hat es in den Duden und zu einem Wikipedia-Eintrag geschafft, und hat als Stoff für ein Theaterstück von Carl Zuckmayer literarischen Weltruhm erlangt. Und die Geschichte gab es wirklich: Voigt, der „Hauptmann von Köpenick“ schneiderte sich im Jahre 1906 selbst eine Phantasieuniform, stellte mit ihrer autoritätsverleihenden Ausstrahlung zwei von ihm zufällig aufgesuchte Soldatenbrigaden unter sein Kommando (die das auch anstandslos mit sich machen ließen), fuhr mit ihnen mit der Straßenbahn nach Köpenick (ob er Fahrkarten kaufte, ist nicht überliefert), spendierte „seinen“ Soldaten ein Bier und ließ sich dann mit ihrer Unterstützung von der ebenfalls überrumpelten Ratsspitze die gesamte Köpenicker Stadtkasse aushändigen.

… und echte Uniformen stürzen ins Unglück

… an Schloss Köpenick erinnert wenigstens eine Gedenktafel an ein historisches Unrecht.

Wir hegen Sympathien für diesen rebellischen, falschen Hauptmann, dessen Geschichte uns heiter lehrt, wohin zu viel uniform-ergebene Regeltreue führt – und auch, wie weit es ein kreativer Regelübertreter bringen kann. Das tragische Gegenstück dazu ereignete sich keine 500 Meter entfernt vom heutigen Köpenicker Rathaus, aber 170 Jahre früher. Im Schloss Köpenick wurde 1730 mit katastrophalem Ausgang vor dem preußischen Kriegsgericht verhandelt. Angeklagt war Hans Hermann von Katte, der Jugendfreund des späteren preußischen Königs Friedrich II. („der Große“). Von Katte war wie sein prominenter Freund ein – erste Regelübertretung! – künstlerischer Frei- statt soldatischer Kleingeist. Und er war mit dem damals noch achtzehnjährigen, vom Vater tyrannisierten und auch deshalb kreuzunglücklichen Thronfolger– zweite Regelübertretung! – vermutlich als Liebespaar verbunden. Auch der Thronfolger selbst hatte einen Regelverstoß geplant: Er wollte seinem Vater und dessen Brutalität nach Frankreich entfliehen. Sein kluger Freund hatte davon gewusst, hatte gewarnt, wurde denunziert und vor dem Kriegsgericht der Mithilfe zur Fahnenflucht beschuldigt. Die Köpenicker Richter versuchten, in ihrem Urteil das Leben des sonst untadeligen Premierleutnants der preußischen Armee zu retten. Aber der „Soldatenkönig“ Friedrich I. kannte kein Pardon. Von Katte wurde hingerichtet, und angeblich zwang der Vater seinen verzweifelten Sohn sogar dazu, Zeuge dieses Mordgeschehens zu sein.

Rasen betreten erlaubt!

„In Deutschland kann es keine Revolution geben, da man dafür den Rasen betreten müsste“, soll der Diktator Josef Stalin mit Blick auf das im nationalsozialistischen Wahn vernebelte Volk der Deutschen einmal gesagt haben. In Berlin kann man vielerorts besichtigen, wie berechtigt diese Einschätzung über unser historisches Versagen gewesen ist (wobei Stalin wahrlich kein guter Zeuge für einen solchen Vorwurf ist). Ein Besuch in der Villa am Wannsee macht stumm ob der Bedenkenlosigkeit, mit der Nazi-Bürokraten 1942 frei von Zweifeln oder Skrupeln die Regeln zur Ermordung von Millionen Juden aufstellten, um sich anschließend zu einem Arbeitsfrühstück zusammen zu gesellen.

Noch immer beginnen nur selten Revolutionen, wenn die Berliner heute den Rasen betreten. Immerhin, sie tun es! Schaut hin, da radelt Joe! Er nimmt die Abkürzung über eine Rasenfläche, um schneller voranzukommen im wilden Zickzack-Kurs zwischen den Sonnenanbetern, der Slacklinern, den Grill-Familien. Was kümmert ihn schon, dass Radfahren im Park eigentlich verboten ist? Das Essen wird kalt, der nächste Auftrag wartet.

 

Sehr informativ finde ich diesen Film von Pocketmoney über das Arbeiten als Essenlieferant in Berlin: https://www.youtube.com/watch?v=UoaTpQ3WZIY

Viel Spaß mit „Is mir egal“ mit Kazim Akboga: https://www.youtube.com/results?search_query=Video+mir+doch+egal

Die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick findet sich auch bei Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hauptmann_von_K%C3%B6penick

wie auch das tragische Schicksal von Hans Hermann von Katte

https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Hermann_von_Katte

Das Haus der Wannsee-Konferenz hat eine eigene Website: https://www.ghwk.de/de

 

 

 

7.000 Schritte, wahllos durch die Zeit (8. Mai 2021)

Täglich mahnt das Handy: Das persönliche „Schritte-Ziel“ gelte es zu erreichen (wer hat diesen Begriff erfunden und in unsere Hirne gepflanzt?). Also raus in diesen unwirtlichen, kalten Maianfang, der schwankt zwischen desaströsen Regengüssen und gleißendem Sonnenglanz, grimmigen Windböen und trügerischer Ruhe, raus in die Straßen Berlins. Egal, wohin, Hauptsache Schritte sammeln, ein wahlloser Weg durch die Mitte dieser Stadt. Es wird ein willkürlicher Gang durch die Zeit. Dass jede Scholle ihre Geschichte hat, und sei sie noch so ländlich abseitig, dass sie Kriege erlebt hat, Gegenstand oder Ort erbitterter Streitereien war, Menschen genährt und begraben hat – wann machen wir uns das bewusst? Man könnte es jetzt tun, wenn man schon Schritte sammeln soll. Los geht´s, das Treppenhaus hinunter, raus auf die Straße.

Schritt 20,

Schritt 400,

Stallschreiberstraße, 13. September 1964: DDR-Flüchtling Michael Meyer wird nach Schüssen der DDR-Grenzer schwer verletzt von amerikanischen Soldaten aus dem Todesstreifen gerettet. Am gleichen Tag ist zufällig Martin Luther King in Berlin, er besucht noch am Nachmittag den Ort des Geschehens und mahnt abends im Osten die Christenheit, sich nicht durch Mauern trennen zu lassen.

Schritt 1263,

Wallstraße 64, Spätsommer 1941: Eine Gedenktafel erinnert daran, dass hier von einer Stoffdruckfirma Geitel & Co rund eine Million Jugendsterne gedruckt worden sind. Alltäglicher Vollzug des Grauens.

Schritt 1275,

Wallstr. 90, 18. September 2010: Eine private Gedenktafel informiert über den Maler Walter Womacka, einer der großen Vertreter des sozialistischen Realismus, der hier wohnte und an diesem Tag in Berlin starb. Eines seiner Hauptwerke heißt „Wenn Kommunisten träumen“ und hing im Hauptfoyer des Palastes der Republik. Der Palast ist durch das erneuerte Stadtschloss ersetzt, das Bild ist eingelagert. Wovon träumen Kommunisten jetzt?

Schritt 2317,

Mohrenstr. 37, 9. November 1989: Der Raum des Geschehens existiert nicht mehr im heutigen Bundesjustizministerium. Ein kaum als solches erkennbares Denkmal weist aber darauf hin, dass hier Geschichte geschrieben wurde. Günter Schabowski gab stammelnd im damaligen Internationalen Pressezentrum der DDR-Führung an dieser Stelle mehr versehentlich als bewusst das Signal zur Öffnung der Mauer. „Das gilt … sofort, unverzüglich“, waren die vielleicht folgenschwersten Worte der jüngeren deutschen Geschichte. Eine rhetorische Ikone der Neuzeit, jederzeit aus der Konserve abrufbar, und damit unvergänglich. Wir kennen nicht die Stimme von Friedrich dem Großen oder von Napoleon, aber die von Günter Schabowski, dahingesprochen im Zweifel, ohne Bewusstsein über die Tragweite, von einem Mann, der gezeichnet ist von der Ermattung und Überarbeitung in diesen dramatischen Zeiten.

Schritt 3011,

Gendarmenmarkt, 29. Oktober 1685: Eine ganze Kirche erinnert daran, dass in Berlin und Brandenburg durch ein königliches Edikt mit diesem Datum Zigtausende religiös verfolgte Protestanten aus Frankreich Aufnahme in Preußen gefunden haben. Die „Hugenotten“, echte Migranten ihrer Zeit, mit fremder Sprache und ungewohnten Sitten, lebten anfangs in provisorischen Zelten, in Armenquartieren und arbeiteten hart an ihrer Existenz, heilfroh, hier eine neue sichere Heimat gefunden zu haben. Ihre Ankunft löste damals die gleichen Diskussionen aus wie heute. Eingeladen vom König galten sie der einfachen Bevölkerung als privilegiert, sie verknappten das Angebot an Nahrungsmitteln und konkurrierten um Arbeitsplätze. Der König hatte vielleicht auch gesagt: „Wir schaffen das!“, noch so eine rhetorische Ikone. Die Hugenotten sind geblieben und prägen mit ihrer Geschichte bis heute das Stadtbild Berlins.

Schritt 3056,

Gendarmenmarkt, 18. März 1848: Die Märzrevolution war die erste und bis zum Sturz der DDR-Regierung auch die einzige Revolution auf deutschem Boden. Die Berliner Toten der Revolution wurden hier aufgebahrt. Ein sinnloses Opfer, denn die Uneinigkeit der Revolutionäre machte es dem König leicht, mit seinen Truppen schon im November 1848 dem Treiben ein Ende zu setzen.

Schritt 3107,

Charlottenstraße 33, 1796 bis 1800: Hier wohnte vier Jahr lang der Schauspieler und Theaterdirektor August Wilhelm Iffland. Nach ihm benannt ist der Iffland-Ring, eine lebenslang per Testament verliehene Auszeichnung für herausragende Schauspieler. Man erbt einen tatsächlichen Ring (der allerdings eigentlich dem österreichischen Staat gehört), der nach dem Tod des jeweiligen Trägers von diesem an einen von ihm ausgewählten Schauspieler-Kollegen vermacht wird. Es muss ein Mann sein, hat Iffland festgelegt. Derzeit trägt den Iffland-Ring der Hamburger Schauspieler Jens Harzer.

Orginal-Mauer, für Mauerspechte to go

Schritt 4205,

Friedrich-/ Ecke Behrenstr., mal wieder 9. November 1989: Ein reichlich angenagtes Original-Stück der Berliner Mauer steht dekorativ auf dem Gehweg vor einem Luxushotel. Wer möchte, kann sich bei der Rezeption gegen Bezahlung Ausrüstung (Schutzbrille, Hammer, Meißel) ausleihen und sich als verspäteter Mauerspecht betätigen. Das herausgehackte Stück Beton darf man mitnehmen und hinaustragen in die Welt. Verkaufte Freiheit, gewissermaßen.

Schritt 5279,

Wilhelmstraße 65:  Der interessierte Schritte-Sammler kann mithilfe sehr informativer Tafeln in dieser Straße verfolgen, wie sich die Häuser verändert haben. In Haus 65 beginnt es irgendwann 1736: Erst Residenz eines preußischen Kronprinzen, dann Sitz des preußischen, dann des nationalsozialistischen Justizministeriums. Im Krieg zerstört, abgerissen, vorübergehend ein Kinderspielplatz, jetzt Erweiterungsbau des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das seinen Hauptsitz im Nebenhaus hat. Dort hatte auch einmal der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer seine Dienstwohnung – als Vorsitzender des Preußischen Staatsrates, bis 1933 der Idee nach vergleichbar mit dem heutigen Bundesrat.

Schritt 6390,

Hoffnung im Stelenfeld

Cora-Berliner-Str. 1: Am 12. Mai 2005 wurde das Denkmal für die ermordeten Juden Europas eröffnet. Von der Rückseite betritt der Flaneur das Stelenfeld. Es herrscht Stille im grandios-schmucklosen Monument, nicht einmal die Sturmböen finden in das Labyrinth. Die grauen Blöcke setzen zartgrün schimmerndes Moos an. Der eine oder andere Riss hat sich gebildet, einige Stelen müssen von Stahlbändern zusammengehalten werden. Die Verletzlichkeit des Betons verstärkt die Eindringlichkeit dieser eindringlichen Tristesse. Am westlichen Ende des grandios-schmucklosen Monuments keimt Hoffnung. Es fehlen ein paar Stelen; an ihrer Stelle wachsen karge Bäumchen.

Schritt 6643,

Brandenburger Tor, 4. Mai 2021: Ein Häufchen Wirrköpfe demonstriert vor dem weltberühmten Tor, das längst kein Tor mehr ist, sondern ein Wahrzeichen für Berlin und seine Geschichte. Auch wer länger zuhört, versteht nicht, worum es gehen soll. Mehr Polizisten als Demonstranten schützen die Versammlung und müssen sich dafür auch noch beschimpfen lassen. Es geht nur um die Handyfotos: Ein paar Sympathisanten, schnell gepinselte Plakate mit zu einfachen Botschaften, dahinter das berühmte Tor. Tausendfach viral geteilt wird es einmal mehr missbraucht.

Schritt 6923,

direkt neben dem Reichstagsgebäude, 17. März 1982: Helmut Schmidt hat an diesem Tag als erster deutscher Bundeskanzler das Unrecht der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma anerkannt. Das daran erinnernde Denkmal im Tiergarten nimmt Schmidts Bekenntnis auf. Es braucht mehr Worte als das stumme Stelenfeld, damit Menschen verstehen, um welches Leid es hier geht.

Schritt 7012,

Reichstagsgebäude, 28. Februar 1933. Erst 1894 vollendet, wurde es schon an diesem Tag in Brand gesteckt, damit alle, die es sehen wollten, erkennen konnten, dass die Zerstörung deutscher Humanität und Demokratie bevorsteht. Dann wortwörtlich „auferstanden aus Ruinen“ – auch wenn diese Liedzeile wenige Meter weiter östlich hinter der Mauer als Nationalhymne diente. Ein Gewirr von Absperrgittern soll es jetzt schützen vor der Erstürmung durch Brandstifter aller Art.

Schritte-Ziel für diesen Tag erreicht. Was vorbeikam an diesem Weg, blieb eine willkürliche Auswahl. Vieles übersehen, nicht erkannt, verworfen. Morgen wieder Schritte sammeln, mit wachem Blick, wahllos durch die Zeit.

 

über die Initiative „Stolpersteine“ informiert diese Seite: https://www.stolpersteine-berlin.de/

das weltberühmte Zitat von Günter Schabowski auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=b3qVjwzgC2A

über den Iffland-Ring: https://de.wikipedia.org/wiki/Iffland-Ring

 

Wo wohnt das Glück? (3. Mai 2021)

Schloss Charlottenburg

Wo anfangen, wenn man über das Wohnen in Berlin nachdenken möchte? Willkürlicher Einstieg:  Schloss Charlottenburg. Die prächtige Residenz, Berlins größte Schlossanlage, hat Hunderte von Räumen, aber die meisten davon standen meistens leer. Der Riesenkomplex wurde über 200 Jahre an- und ausgebaut, um Seitenflügel, Theaterbauten, Orangerie und einen Park erweitert, es wurde dort gefeiert, repräsentiert, gelacht und geweint – aber gewohnt wurde eher selten. Jedenfalls nicht in dem Sinne, in dem wir heute wohnen: Fester Lebensmittelpunkt, Heim und Herd, Tür zu, und das Private beginnt. Schloss Charlottenburg diente vorrangig als Sommerresidenz der preußischen Könige von kurz nach 1700 und knapp bis 1900, immer wieder mal aufgesucht, oft in scharfer Konkurrenz unterlegen gegenüber den Potsdamer Schlössern. Also standen sie leer, die Festsäle, Dienstbotenkammern, Küchen, Gänge, Repräsentationsräume, Schlafzimmer, Theater. Seit 100 Jahren wird das Schloss als Museum genutzt.

Nur wenige Schritte vom Schloss zum Zelt

Was für ein sinnloser Luxus! Es sind nur wenige Schritte vom Schloss bis zur Brücke über die Spree, die Menschen ein Zuhause bietet, nur eine Ein-Raum-Wohnung im Zelt, aber immerhin. Ein trockener Platz, mühsam ergattert im Konkurrenzkampf unter den Mittel- und Wohnungslosen. Manchmal kommt der Bus der Obdachlosenhilfe vorbei mit einer warmen Suppe, und die wohlsituierten Tagesbesucher bei der Nachbarschaft, bei Schloss und Park Charlottenburg, stellen hin und wieder dem Zeltbewohner gnädig ihre Pfandflaschen vor den Reißverschluss.

Wo wohnt das Glück?

Es waren keine vierzig Jahre vergangen, seit aus dem schönen, aber so wenig nützlichen Schloss am Spreeufer der letzte adelige Teilzeit-Bewohner ausgezogen war, da errichteten in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts weitsichtige Bauherren und Architekten die Hufeisensiedlung in Britz. Sie hat kein eigenes Theater, aber auch so etwas wie einen Park. Genauso wie das berühmte Schloss trägt sie jetzt den neuzeitlichen Adelstitel „UNESCO-Weltkulturerbe“. Hier sollte von Anfang an ausschließlich gewohnt werden, und zwar in bester Lebensqualität zu, genossenschaftlich kontrolliert, erschwinglichen Preisen, ganz ohne staatlich verordneten Mietendeckel. In Form eines großen Hufeisens ordnen sich die Wohnungen in drei Stockwerken fast rund um einen Teich, eine Grünanlage, davor kleine Gärten – was für ein Traum von Park! Ummauerte Nischen-Balkone laden zum Blick auf dieses Ensemble ein, eine kleine Gaststätte und die wichtigsten Geschäfte gibt es auch. Zusammen mit den Nebenbauten, die Teil des denkmalgeschützten Ensembles sind, entstanden hier rund 2000 Wohnungen auf einer Fläche, die mehrfach in den Charlottenburger Schlosspark passen würde. Wer hier wohnen darf, hatte Glück, und hat es gleichzeitig gefunden, das Glück des Wohnens. Kein Wunder, wenn die Siedlung auch noch nach einem Glückssymbol benannt ist. Die Hufeisensiedlung, die Siemensstadt und andere, ähnliche Wohnquartiere in Berlin aus dieser Zeit zeugen vom Willen, der Metropole endlich den Wohnraum zu schaffen, nach dem sich viele sehnten in ihren verrotteten, krankmachenden Armenbauten. Wohnraum als Sozialprojekt, nicht als kommerzielle Veranstaltung.

Wieder vierzig Jahre später gab es in einem Teil dieser Stadt staatlich verordnet keinen Wohnkommerz mehr. Die DDR-Führung verfolgte mit ihren Plattenbauten die gleichen Ideale wie die Visionäre der Sozialsiedlungen aus den Zwanzigern. Aber hier wurde nicht Bauhaus-ambitioniert gebaut, sondern schnell und billig hochgezogen, städtebaulich phantasielos, vom Westen verspottet. Das war effizient, um nach einem Krieg und seinen Verwüstungen endlich menschenwürdigen Wohnraum zu schaffen für die vielen, die danach suchten. Sieben solche Hochhäuser stehen zum Beispiel auf der Fischerinsel, keine zehn Minuten Fußweg entfernt vom Ostberliner Stadtzentrum am Alexanderplatz, 1500 günstige Wohnungen. Heute wie damals eine Premium-Wohnlage, und heute wie damals kann man im inzwischen sanierten Plattenbau dort das private Glück des Wohnens finden. Andreas Ulrich hat in seinem Buch „Die Kinder der Fischerinsel“ die Biografien seiner Generation als Bewohner der Hochhäuser zusammengetragen. Die meisten seiner Geschichten berichten von glücklichen Kindheiten: Endlich Aufzug statt Treppensteigen, endlich Zentralheizung statt Kohlen schleppen, endlich Bad in der Wohnung statt Plumpsklo auf dem Flur. Im ganzen Buch geht es nicht ein einziges Mal um die Frage, wie teuer wohl die Miete war.

Gewinnt der Kommerz gegen das Soziale?

Wenn der Flaneur heute den Weg entlang der ehemaligen Mauer geht, kann er oft an der Bebauung erkennen, wo West und Ost war: Im früheren Westen rückten die Mehrfamilienhäuser der 60er Jahre bis fast an die doppelte Kopfsteinpflasterreihe heran, die jetzt Symbol für den Verlauf der Grenze ist. Auf der Ost-Seite konnte der Platz des Todesstreifens nach seiner Beseitigung lukrativ genutzt werden. Jetzt stehen hier Neubauten, schick und teuer mit breiten Balkons und bodentiefen Fenstern. Wer hier wohnt, muss sich eher nicht kümmern um die Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen!“, deren Motto überall gepinselt ist auf die Betonwände dieser Stadt und per Schablone gesprayt auf den Gehwegen. Engagierte Mieter sammeln Unterschriften für ein Volksbegehren, sogar am Feiertag im Charlottenburger Schlosspark.  Der DAX-Konzern „Deutsche Wohnen“ besitzt in Berlin mehr als 115.000 Wohnungen, auch die in der Hufeisensiedlung und der Siemensstadt. Das skeptische Mietervolk fürchtet nicht zu Unrecht, dass die Marktmacht des Konzerns nach und nach dem Kommerziellen die Oberhand über das Soziale verschaffen könnte. Dass Investoreninteressen aus einfachen, billigen Wohnungen luxussanierte Edelquartiere werden lassen, in denen sich Gutbetuchte ihr geschütztes Leben hinter sicheren Eisentoren gönnen. Dass infolgedessen alle Mieten steigen werden und am Ende immer mehr Menschen unter der Brücke im Zelt schlafen.

Ob es ein „Ende“ geben kann? Unersättlich scheint er zu sein, der Wohnungshunger in den Metropolen, wo immer neue Generationen, neu zugezogene Migranten, noch mehr Studierende, noch mehr Alleinlebende, noch mehr Businessleute und Regierungsbürokraten, nach dem immer gleichen kleinen Glück suchen in den privaten vier Wänden.

Im Schloss wohnt immer noch keiner

So wird also überall gewohnt in Berlin: Im edel gentrifizierten Loft, im sanierten Plattenbau, in der heiß umkämpften Denkmalschutz-Wohnung im Hufeisen, in der Hasenstall-artig übereinandergestapelten Neubauwohnung, im unsanierten Altbau, in dem der Putz von der Wand bröckelt, unter der Brücke im Zelt und ohne Zelt auf dem wärmenden Lüftungsschacht. Nur in den großen Schlössern dieser Stadt, da wohnt immer noch keiner; sogar der Bundespräsident wohnt nicht mehr im Schloss Bellevue (was zumindest einer seiner Vorgänger machte, wenn er in Berlin weilte), sondern verfügt über eine Dienstvilla in Dahlem. Wenigstens sieht die ein bisschen wie ein kleines Schloss aus.

 

Mehr Informationen über Schloss Charlottenburg bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten: https://www.spsg.de/schloesser-gaerten/objekt/schloss-charlottenburg-altes-schloss/

über die Hufeisensiedlung bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Hufeisensiedlung

über das Buch „Die Kinder von der Fischerinsel“ https://www.bebraverlag.de/verzeichnis/titel/971-die-kinder-von-der-fischerinsel.html

über das Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“: https://www.dwenteignen.de/

und über die Dienstvilla des Bundespräsidenten beim Bundespräsidialamt: https://www.bundespraesident.de/DE/Die-Amtssitze/Schloss-Bellevue/Dienstvilla-Berlin-Dahlem/dienstvilla-node.html;jsessionid=85169B7976A5D56283B391DA7C54A16C.2_cid353

 

 

Umsonst und draußen (30. April 2021)

Was macht einen Touristen-Hotspot aus? Ein internationaler Name muss es sein, ein Sehnsuchtsziel für viele auf der Welt. Ein Ort, der nicht um Gäste werben muss, sondern sich ihrer ordnend zu erwehren hat. Berlin erfüllt alle diese Kriterien: Eine glanzvolle Vergangenheit als Residenzstadt, der sie strahlende Bauten (alte wie neue, echte wie falsche) verdankt, eine über Jahrhunderte berührende wechselhafte Geschichte, die jedem Besucher einen Moment, eine Straßenecke beschert, welche zur Identifikation einlädt. Hundertfach beschrieben und besungen wurde diese Stadt, von Prachtstraßen durchzogen ist sie und voller Orte geschichtlicher Brüche. Wirkungsstätte großer Namen, deren Geburtsorte, Lebenspunkte und Gräber der Tourist andachtsvoll aufsuchen kann.

Im Allways-On-Modus wird der Zaubertrank aufgeschäumt

Tiergarten: Denkmal für die hier ermordete Rosa Luxemburg

So kennen wir Nicht-Berliner genau dieses Touristen-Berlin: Im Allways-On-Modus jagen übermütige Schulklassen und asiatische Busgruppen durch seine Straßen, durchzuckt von blaulicht-bewehrten Politiker-Kolonnen. Dazwischen jede Menge Gäste, die Halt finden wollen im permanenten Strudel des touristischen Wahnsinns, die eine freie Lücke suchen zwischen all den Menschen, um das Brandenburger Tor (und möglichst auch sich selbst dabei) zu fotografieren. Die geduldig Schlange stehen, damit sie einen freien Platz ergattern im Café Kranzler am „Ku´damm“. Bildungshungrige, die Zeitslots buchen, damit ihnen auf der Museumsinsel ein schneller Blick auf die Aphrodite gegönnt wird, bevor die nächste Busladung strömt, das nächste Handy sich ins Bild drängt. Alles ein überhitzter, taumelnder Kreisel aus Tempo, Eitelkeit, Kommerz. Berlin serviert seinen Besuchern ganzjährig und rund um die Uhr einen aufgeschäumten Zaubertrank, angerührt von überarbeiteten, manisch berauschten Köchen, gebraut aus Überfluss, Hysterie und Glücksversprechen. Der Trank macht blind, er lässt uns gar nicht mehr bemerken, dass wir über die gepflasterte Doppelreihe treten, die den Verlauf der Berliner Mauer markiert. Er macht uns taub dafür, dass plötzlich, wenige Meter abseits von allem Trubel, im Tiergarten Stille herrscht zwischen den von rauschendem Geäst beschatteten Bronzeskulpturen. Der Zaubertrank nimmt uns jedes Gefühl für die Wunden dieser Stadt, die noch immer bluten, weil dort Menschen gestorben sind, im verbrecherischen „Kampf um Berlin“ in den letzten Wochen des großen Krieges, oder danach an der Mauer oder zuvor dort, wo Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet in den Landwehrkanal geworfen wurden. Das überhitzte Zaubergebräu sorgt dafür, dass wir nicht mehr stolpern über die Stolpersteine, die an ermordete Juden erinnern. Es verhindert, dass wir stutzen, wenn wir an Soldatendenkmälern vorbeihetzen, die mit tonnenschwerem Guss an vergessene deutsche Siege erinnern. Der Trank berauscht uns so sehr, dass wir die Siegessäule nur noch als Mittelpunkt eines großen Kreisverkehrs sehen, und nicht als fragwürdiges Kriegssymbol.

Keine Eisverkäufer, keine Busrouten-Vermarkter

Stadtschloss Berlin

Aber jetzt ist alles anders. Der Zaubertrank ist alle, seine Köche pandemiebedingt arbeitslos. Plötzlich ist der Besucher (fast) allein zu Haus in Berlin. Also geht der Flaneur ganz für sich und in Muße einmal den langen Weg quer durch diese Stadt. Start am städtebaulich so missglückten Alexanderplatz, keine Schlange am Fernsehturm, keine verkaterten Abiturienten auf den Treppenstufen. Vorbei am wieder aufgebauten Stadtschloss. Die dreißig Zentimeter hohen, goldleuchtend auf blauem Grund wieder aufgetragenen Buchstaben am Fuß der Kuppel kann man jetzt in Ruhe lesen, wenn man denn möchte – hier versperrt kein Selfie-Pärchen die Sicht. „Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“, steht da geschrieben, und schon lädt am Schinkelplatz eine gemütliche Steinbank dazu ein, darüber nachzudenken, ob es klug war, mit dem Schloss auch gleich noch den christlichen Überlegenheitsgestus des vorletzten Jahrhunderts mit zu rekonstruieren. Gegenüber die geschlossene Museumsinsel mit dem atemberaubend schlank-eleganten Eingangsbau von Chipperfield. Keine Eisverkäufer, keine Busrouten-Vermarkter stören den Blick. Dann unter den Linden entlang – niemandem ausweichen, freie Sicht auf das sich langsam nähernde Brandenburger Tor. Keine Ablenkung durch hupende Busse, die einen Parkplatz bei Madame Tussauds suchen (wobei es ohnehin ein Rätsel bleibt, warum Menschen an einen solchen Ort reisen, um sich dann die gleichen Puppen von Prominenten wie in London oder New York anzusehen).

Brandenburger Tor: Ungestörter Blick auf die Quadriga

Am Brandenburger Tor ein Kaffee to go. Ein paar Kioske haben auf, der Barista hat sogar Zeit, mit seinem raren Gast zu plaudern. Die Rikscha-Fahrer dösen vor dem Adlon, taxieren mit müdem Blick die wenigen Gäste, die vorbeischlendern. Die Taschendiebe sind ziel- und damit arbeitslos. Durch das Tor der Weltgeschichte radeln ungestört von Fremdenführern, Souvenirverkäufern oder fliegenden Händlern überteuerter Gasballons die Berliner auf dem Weg in ihr Büro. Im Tiergarten pfeifen die Vögel untereinander um die Wette, hier torkeln keine Raver und keine Fußballfreunde mehr und nur noch selten Querdenker durch das uringetränkte Gebüsch. Vorbei am geöffneten Zoo – Zugang nur mit Maske und Corona-Test. Wenige Besucher, ein paar Familien, spazieren zwischen den Gehegen herum. Es herrscht friedliche Gelassenheit bei den Elefanten und die Löwen dösen ungestört in ihrem Gehege.

Maske auf und nachgedacht!

Schließlich den Weg wieder zurück im fast menschenleeren Oberdeck der Buslinie 100. Kein hitziges Gejohle und keine übermütige Rauferei von hippeligem Jungvolk um die erste Reihe, kein ratloses Sprachengewirr im Bus, keine drangvolle Enge auf den Treppen zum Oberdeck. Also Maske auf, zum Busfenster rausschauen, und nachdenken: Was fehlt dieser Stadt ohne Fanmeile, ohne Großevents, ohne Touristen? Ganz sicher Geld. Die absurdesten Auswüchse des kommerziellen Massentourismus sind im geschlossenen Zustand besonders scharf konturiert zu erkennen: Der Autokran ist eingeklappt, der sonst Menschen zu einem „Dinner in the Sky“ in die Abgas-belastete Luft über Berlin befördert, frei sitzend auf einer Bank, die Füße baumeln 50 Meter über dem Boden. Die „DDR-Museen“ sind geschlossen und die Trabbi-Rundfahrten abgesagt, allesamt Geschäftsmodelle, die es erlauben, sich gegen Geld über die Lebensverhältnisse und den Stand der Automobilisierung a la DDR lustig zu machen. Respektlose aller Länder, vereinigt Euch! Die in absurder Anzahl überall herumstehenden und herumliegenden Roller, Mopeds, Autos, Fahrräder zum Ad-hoc-Verleih braucht jetzt keiner. Den geschlossenen Bars in Kreuzberg und anderswo, abgenutzt vom allnächtlichen Betrieb bis Sonnenaufgang, tausendmal vollgekotzt und wieder mühsam geputzt, fehlt das alkoholorientierte Feiervolk. Einige davon dienen jetzt als Corona-Testzentren. Und ganz sicher fehlt auch alles das, was Berlins prächtige Paläste und alternativen Winkel im Inneren zu bieten haben: Kleine und große Kunst, Musik, Theater, Opern, die Museen.

Ankunft Alexanderplatz, der Bus fährt quietschend an den Bordstein, die Tür öffnet sich. Alltag in Berlin. Von weit her schallt gut vernehmbar der Ruf des pandemischen Marktschreiers: „Hereinspaziert, meine Damen und Herren, das gibt es nur hier und nur jetzt: Ungestörter Blick! Kein Stress! Keine Hektik! Alles umsonst und draußen! Berlin – heute für Sie ganz allein! Heeereinspaziert …“

 

Wer sich näher über die Auseinandersetzung zur Kuppel-Gestaltung des ieder aufgebauten Stadtschlosses informieren möchte – hier ein guter Artikel dazu:

https://www.katholisch.de/artikel/25630-kreuz-und-bibelspruch-das-berliner-stadtschloss-erhitzt-die-gemueter

Berlin blüht (22. April 2021)

Noch sind die Balkone der Genossenschaftshäuser unbelebt, noch fehlen bunte Sonnenschirme, noch färben sich die Blumenkästen nicht. Aber ganz langsam, unaufhaltsam weicht das Grau. Grün sprießt es schon aus jeder Ritze, an jedem Ast. Die ersten Tulpen kämpfen sich bunt durch das noch matte Grün der Wiesen, das gelbleuchtende Gebüsch zieht magisch jedes Auge an, die Kirschen recken ihr Rosaweiß in den stahlblauen Himmel. Schon fallen die Magnolienkelche ab in ergrauter Schönheit.

Leben in den Hochbeeten zwischen den Hochhäusern

Berlin blüht. Deutschlands Hauptstadt liegt mit 59 Prozent Grünflächenanteil diesbezüglich im Mittelfeld deutscher Großstädte (Hamburg über 70, München unter 50 Prozent). Und doch erscheint es so, als dürste dieser Stadt ganz besonders danach, endlich das urbane Grau zur Seite zu drängen. Als müsse sich hier jeder Baum ganz besonders anstrengen, zwischen den vielen Pflastersteinen, zwischen all den Giften und Zumutungen endlich wieder vitalen Schimmer tragen zu dürfen. Grün zu sprießen – das ist keine Kunst im feuchten Hamburg, aber hier, wo die Winter kalt und trocken sind? Im Frühling die prächtigen Blumenrabatten erblühen zu lassen – das ist keine Kunst im königlichen München, wo der Reichtum jedem Gärtner Brot gibt – aber hier, zwischen Plattenbauten und Dönerläden, belagert von zu vielen Menschen, geschunden von zu viel Verkehr? Hier ist es etwas Besonderes, wenn sich die Beete bunt färben, jedes hart erkämpfte Stück offene Erde grün wird und nicht grau bleibt. Auch das Urban Gardening erwacht, da kommt Leben auf in den Hochbeeten zwischen den Hochhäusern!

Wie viele große Gärten und Parks hat diese Stadt zu bieten, in denen es nun blüht und grünt aller Orten? Den Tiergarten mit seinen verschlungenen Wegen, die nach jeder Biegung den Blick auf eine glitzernde Überraschung, ein Kunstwerk, eine Idee von Gartenkunst freigeben! Oder die modernen Gärten der Welt, in denen man von einer Seilbahn aus die ganze blühende Pracht auch von oben bewundern kann. Wie ungerecht, nur zwei hier zu erwähnen, gibt es doch Hunderte kleiner und großer Parks mit angelegten Beeten und Flächen, mit abgenutzten Spielflächen, mit plätschernden Wasserspielen, mit stillen Teichen und spiegelnden Seen. Sie alle erwachen im Frühjahr zu neuem Leben, zu neuer Hoffnung, bevor sie doch wieder Opfer werden. Getreten und geknickt von der Lust der Menschen, zu ihnen nach draußen zu drängen, ihre Pracht zu benutzen und zu missachten. Und das, wo doch bald schon die Hitze des Sommers dafür sorgen wird, dass ihnen der Lebenssaft knapp wird. Der Herbst wird ihnen nochmal die kurze bunte Pracht der fallenden Blätter gönnen – und dann, dann ist es wieder vorbei und alles wird zurückgedrängt in das urbane Grau.

Verschachtelte Paradiese

Jetzt aber steht dieser Kreislauf auch in Berlin an seinem bunten, hoffnungsfrohen Beginn. Den Flaneur hat es frühlingstrunken hinausgetrieben bei kühlem Wind und strahlender Sonne, hinaus an die alte Grenze zwischen Ost und West, zwischen Treptow und Neukölln. Hier stand die Mauer, und westlich wie östlich von ihr gab und gibt es nur eines: Kleingartenkolonien. Eine einzige Ansammlung von verschachtelten Paradiesen, Natur-Fluchtpunkte, wohl geordnete, kleine Königreiche für Gartenzwerge und ihre Besitzer. Jedes Gärtchen „ein klein Häuschen“, jede Parzelle schöner, frühlingsbunter als die nächste. Und sie haben Namen, die das kleine Glück versprechen: „Alt-Köllner Pracht“ oder „Wiesengrund“ oder „Märkische Schweiz“.

Eine dieser Kolonien an dieser Stelle, an der früheren deutschen Grenze mitten durch unser deutsches Hauptstadt-Herz, heißt noch immer „Sorgenfrei“. Frei von den Sorgen um Arbeit, Gesundheit und Leben, frei von den Sorgen deutscher Teilung, alles das suchten auch im März 1966 die Kleingärtner in ihrem eigenen Stück Grün im Schatten der Grenzmauer. Sorgenfrei! Sie suchten es in jedem zwitschernden Vogel, in jeder zum Leben erwachten, sich der Sonne entgegendrehenden Blüte, die den Blick ablenkte vom Todesstreifen, direkt nebenan. War am 14. März 1966 auch dort schon ein Hauch von Frühling zu spüren? Sprießte in den Gärten der Kolonien auch schon das Gras, das erste zarte Grün an den Bäumen, die ersten Krokusse?

Geboren auf der falschen Seite der Mauer

Zwei Jungs, 10 und 13 Jahre alt, versteckten sich einen ganzen Tag in dieser gärtnerischen Idylle, um in dieser Nacht über die Mauer von Treptow nach Neukölln zu gelangen. Wenn es dunkel war, wenn die Nacht die Blüten geschlossen hatte und das frische Grün zu Grau geworden war, das Schutz zu bieten vorgaukelte, – dann wollten sie die Grenze überwinden. Der Jüngere der beiden – im gleichen Jahr geboren wie der Flaneur, aber am falschen Ort, auf der falschen Seite der Mauer – wollte zu seinem im Westen lebenden Vater, sein bester Freund machte mit bei diesem traurigen Abenteuer. Beide wurden erschossen, auf der Höhe der Kolonie „Sorgenfrei“, und starben noch am gleichen Tag. Der Staat, über dessen Charakter als „Unrechtsstaat“ heute noch einige Anlass zur Diskussion sehen, vertuschte den Vorgang, den entsetzten Eltern wurde vorgelogen, ihre Kinder seien verunglückt. Zwei DDR-Grenzbeamte waren an dieser mörderischen „Grenzsicherung“ beteiligt; einer davon lebte noch, als die Mauer fiel. Im Prozess, der ihm dann gemacht wurde, sagte er aus, er habe nicht erkannt, dass die dunklen Gestalten im Grenzstreifen Kinder gewesen seien. Er wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt

So war das im Frühjahr 1966, als eine tödliche Mauer die blühende Pracht der Gartenkolonien durchschnitt. Heute tut dies eine neu angelegte Straße. Aber dort, wo der alte Mauerstreifen von der Straße abbiegt, füllt nun ein breiter Parkstreifen den Mauer-freien Platz, ein Bächlein wurde angelegt, eine Birkenreihe angepflanzt. Bedächtige Spaziergänger und sportliche Radfahrer streifen sorgenfrei unter dem frischen Grün der Birken in beide Richtungen dahin. Ein kluges Denkmal erinnert an die beiden getöteten Kinder. Berlin blüht. Blüht auch deshalb, weil wir es überwunden haben, dass hier Menschen sterben.

Das Denkmal für die bei der Flucht erschossenen Kinder an der Kiefholzstraße bei der Gartenkolonie „Sorgenfrei“

 

Die beiden getöteten Kinder waren Jörg Hartmann und Lothar Schleusener.

 

Material World (18. April 2021)

Was für ein geschundenes Gemeinwesen ist dieses Berlin! Aber so sind Metropolen: überlastet, abgenutzt, überfüllt. Vermüllt.

Berlin hat wie London, Paris oder New York prächtige Ecken, in denen Reichtum aus jeder Pflasterfuge quillt. Und andere, in denen das Gras am Straßenrand nicht mehr wachsen kann, weil niemand es schützt und gießt, aber alle drauftreten, auch die überzeugten Klimaschützer. Berlin hat Ecken, in denen der Müll am Straßenrand liegt, obwohl die Straßenreinigung regelmäßig unterwegs ist. Häuser, die verfallen, zugenagelt sind, und alle haben sich daran gewöhnt. Roststrotzende Brücken und gequälte Gleise, über die eine Stadtbahn seit über hundert Jahren rumpelt. Und es sieht zumindest so aus, als fehlten Geld und Kraft, sie zu erneuern.

Sollen sie ruhig spotten, die ordnungsliebenden Schwaben oder die besserwisserischen Bayern! Nur einen Tag lang sollten sie Verantwortung tragen für diesen Moloch, und sie würden scheitern. Hier würde ihren selbstgewissen Verantwortlichen der Alltag Demut lehren vor der Komplexität des Zusammenlebens von Menschen in einer Unterschiedlichkeit, die sie nicht kennen in Tübingen oder Garmisch-Partenkirchen. Wieviel Geld müsste Berlin für sein Gemeinwesen ausgeben, um so sauber auszusehen wie München? Wir würden es nicht mit unseren Steuern bezahlen wollen.

Bunt, geschäftig, jung wie alt

„Berlin! Berlin!“, schrieb der Berliner Schriftsteller Julius Hart (1885 – 1930) in seinem Gedicht „Auf der Fahrt nach Berlin“: „Die Menge drängt und wallt, und wälzt sich tosend durch die staub´gen Gassen.“ Und weiter: „Vorüber brandet sie stumpf, tot und kalt, Und jedes Ich ertrinkt in dunklen Massen.“ So wirken die Menschen heute nicht, die dem Flaneur begegnen. Eher unfassbar bunt, geschäftig, jung wie alt: So viele Sprachen, so viele Generationen, so viel nicht reguläres Leben: Straßenkünstler im farb-verklecksten Outfit, Migranten jeder Herkunft, echte und falsche Bettler, englischsprechende Geschäftsleute, Obdachlose in allen Zuständen ihrer Not, hippe Studierende, Drogenkranke, Skater, Punks, und natürlich viele etablierte, junge wie alte Menschen. Sie alle stimmten der wichtigsten Regel zu, die für alle gilt, für die Berlin Heimat ist: Du musst den Nächsten vielleicht nicht lieben, aber Du musst ihn ertragen. Diese Stadt erzählt mehr von Toleranz als tausend politische Erklärungen. Dieses geschundene, überforderte, an vielen Stellen aus allen Nähten platzende Gemeinwesen braucht gesellschaftliche Vielfalt nicht zu diskutieren, sondern muss sie leben, ob es will oder nicht.

Berlin trieft vor Geschäft(stüch)igkeit

East Side Gallery – ein Blick durch die Mauer

Warum funktioniert das? Was eint diese Stadt? Der Konsens des Materiellen. Denn in dieser Stadt ist jeder Atemzug materiell. Berlin hatte einen Bürgermeister, der beschrieb seine Stadt mit den Worten: „arm, aber sexy“. Arm sind hier ganz sicher diejenigen, die um ihre Existenz kämpfen. Die sich mit zwei Nebenjobs über Wasser halten müssen, als Putzhilfe oder Tankwart oder Späti-Verkäufer. Auch das ist in Berlin nicht anders wie in anderen Metropolen. Das goldene Kalb mag hier nicht ganz so schön glänzen, aber es jagt noch hitziger als anderswo durch alle Gassen. Diese Stadt trieft vor kleinteiliger Geschäft(stücht)igkeit. Jeder noch so kleine Laden braucht eine exotische Besonderheit, um eine noch kleinere Marktnische anzuzapfen: Hier ein neues noch exotischeres Restaurant, da eine noch hippere Bar, dort eine neuer Pop-Up-Shop mit Pflanzen zum Mieten. Buchbare e-Roller liegen kreuz und quer massenhaft herum, und führen vor, wie gering ihr materieller Wert ist, und wie hoch die Gewinnspanne sein muss, wenn man sie mietet. Car-Sharing-Autos verknappen den Parkraum, Leihfahrräder verstopfen die Abstellplätze. Hier ist alles nicht nur wegen der Pandemie „to go“, die Fahrer der Essenslieferdienste jagen sich gegenseitig auf den Radwegen die Vorfahrt ab. Die Supermärkte überbieten sich mit noch längeren Öffnungszeiten und graben damit den Kiosken das Geschäft ab. Diese „Spätis“ öffnen immer, auch am Sonntag.

So verdunstet in Berlin jede Spiritualität im materialistischen Fegefeuer. Wenn kein Gottesdienst ist, sind alle Kirchen geschlossen, sogar die katholischen. Vor den Kircheneingängen kampieren die Obdachlosen.

Ein Live-Besuch beim Turmbau zu Babel

Aber Investorengeld scheint es ausreichend zu geben. Die Gentrifizierung des Wohnungsangebotes ist zum Greifen. Der Mauerstreifen (und nicht nur er) ist gesäumt mit balkonbewaffneten Neubau-Käfigen, sogar die weltberühmte East Side Gallery musste ihnen ein gutes Stück weichen. Da half auch kein Denkmalschutz! Jedes zweite Haus, jede zweite Straßenecke ist eine Baustelle. Die Zahl der Baustellen, Baugerüste, Renovierungen, Provisorien, Umleitungen ist nicht zu zählen – genau so wenig wie die Häuser, Straßen, Bahnhöfe, Bahnlinien, die noch verrottet oder zumindest überholungsbedürftig auf bessere Zeiten warten.

Berlin – das ist ein Live-Besuch beim Turmbau zu Babel: Gewerkelt und gehämmert und gebohrt und gegipst wird allerorten und ohne Unterlass. Der Gott, dem man hier mit aller Geschäftigkeit näherkommen will, ist der schnöde Mammon. Nur das mit den Sprachen, das haben sie jetzt besser im Griff in Berlin.

 

 

Wer mehr wissen möchte zu den hier verwendeten Bibel-Metaphern, hier meine Empfehlungen:

Goldenes Kalb bei wikipedia  

Turmbau zu Babel bei evangelisch.de

 

Gefälle im Münster (#0001)

Heilig Kreuz Münster, Rathausgasse, 78628 Rottweil

Mein Besuch am 14. Februar 2021

Valentinstag, Fasnets-Sonntag, aber im Corona-Lockdown. Klare Kälte in der Luft, blauer Himmel, ein paar Schleierwolken, Schnee und Eis auf der Straße. Das Heilig Kreuz Münster überrascht mich einem Gefälle in der Kirche. Wie ein moderner Konzertsaal fällt die überbaute Fläche ab. Der winterliche Sonnenschein fällt durch die bunten Fenster in einen Kirchenraum, der nicht zum Himmel strebt, sondern solide am Boden bleibt. Getaucht in warmes Gold, spiegelt sich das Sonnenlicht in den Altären und auch im Gold der alten Zunftlaternen, die hinter Gitter gleich am Eingang stehen. Sauber beschriftet, hier die Laternen der Schreiner, dort die der Metzger. Und auch welche der Friseure, die sie derzeit vielleicht besonders bräuchten, hat man ihnen doch eine Zwangspause verordnet. Und gleich links davor: Zwei Nischen füllen die Totentafelns des zweiten Weltkriegs, auch berühmte Namen der Stadt darunter, die hier um Mitglieder ihrer Familien trauern mussten. Und doch frage ich mich, was das diese besondere Ehrung der Kriegsopfer an dieser prominenten Stelle in einer Kirche von heute zu suchen hat. Werden wir Tafeln der katholischen Corona-Toten in unsere Kirchen hängen?

https://de.wikipedia.org/wiki/Heilig-Kreuz-M%C3%BCnster_(Rottweil)

http://www.hl-kreuz-rottweil.de/kirchen/heilig-kreuz/patrozinium/patrozinum-titularfest.html