Der Welt entrückt (#0020)

Ein intimer Moment innen, und draußen eine Idylle: St. Johannes in Kloster Malgarten bei Bramsche

St. Johannes, Am Kloster, Malgarten bei 4965 Bramsche

Mein Besuch am 28. August 2021

Der Ort ist eine Idylle. Viele Klöster habe ich schon besucht, viele gut renovierte, manche schon verfallen. Malgarten ist aber weder das eine, noch das andere. Sondern ein Ort von besonderer, intimer Inspiration. Künstler sind dort zu Gange: Ein Geigenbauer lädt zu Workshops ein, eine Holzbildhauerin schnitzt herum und eine Yoga-Lehrerin lässt die Klangschalen tönen. Das weitläufige Gelände ist in Privatbesitz. Es findet sich Gastronomie dort und zahlreiche Künstlerateliers. In einfachen Zimmern kann man auch klösterlich übernachten.

Der Kirchenraum von St. Johannes stammt aus spätromanischer Zeit, aber die Inneneinrichtung ist zurückhaltend barock.

Inmitten dieses bunten und doch stillen  Areals, das einmal ein Benediktinerinnenkloster war, und damit eine katholische Insel im evangelisch reformierten Osnabrücker Land,  finden sich zwei Friedhöfe und eine Kirche. Tief duckt sich die katholische Pfarrkirche St. Johannes in das klösterliche Ensemble. Nur der spitze Turm weist den Weg zur Kirche. Das Innere des Gotteshauses ist von der Bausubstanz viel älter, im Inneren aber barock gestaltet. Nicht überladen, eher zurückhaltend, und so ruht der Blick auf Chorgestühl, Kanzel und Orgel. Ein schöner Raum! Das ganze Kloster huldigte der Marienverehrung; die Kirche tut es noch heute. Mir hat sich ein stiller Winkel im hinteren Kirchenraum als besonders stimmungsvoll ins Gedächtnis eingegraben. Gläubige oder auch nur spirituell zugängliche Besucher können dort einer Madonnenstatue eine Kerze anzünden. Und dann durch das kleine Fenster ein Blick hinaus in den stillen Klosterhof – Malgarten lässt davon träumen, der Welt entrückt zu sein. Wäre da nicht die nahe A1, deren Rauschen und Dröhnen herüberklingt. Meine Bitte: Nicht achtlos vorbeifahren!

Die Website von Kloster Malgarten enthält sehr gute Informationen zur Kirche und auch zu den  dort tätigen Künstlern: https://www.forum-kloster-malgarten.de/

 

 

Gemäldegalerie mit schwerer Last (#0019)

Evangelische Unionskirche, Platz der Nassauischen Union, 65510 Idstein

Mein Besuch am 27. August

Übervolle Farbenpracht: Gemälde aus der Rubensschule bedecken den kompletten Innenraum der Unionskirche Idstein

Selten hat mich eine Kirche so überrascht! Von der Autobahn abgefahren, um mir auf der langen Reise eine lebendigere Pause zu gönnen, als dies an einer drögen Raststätte möglich ist, bin ich mehr oder weniger zufällig in Idstein gelandet. Die Unionskirche im Ortskern des Fachwerkstädtchens Idstein im Süden Hessens wirkt eher unscheinbar, gedrungen duckt sie sich in die engen Gassen des mittelalterlichen Ortsbildes.

Aber welche unglaubliche Pracht entfaltet sie in ihrem Inneren! Über und über ist sie ausgemalt mit Gemälden der holländischen Schule, die Decke ist kein Gewölbe, sondern gleicht einem Bilderbuch über testamentarische Szenen. Alle Wände sind mit Bibelsprüchen bedeckt, gemalte Medaillons illustrieren das Beschriebene. Ein ganz besonderer Kirchenraum, der mit der Lückenlosigkeit beeindruckt, mit der Bilder Decke und Wände bedecken. So gleicht die Raumwirkung gleicht ehr der eines alten Museums, in dem die Bilder noch über- und eng nebeneinander gehängt worden waren. Welche Pracht!

Schwere Last: Geschichte und Farbenpracht der Unionskirche geben viel Anlass zum Nachdenken.

Die viele Kunst in der Kirche stammt aus dem 17. Jahrhundert und ist verbunden mit der Regentschaft der nassauischen Linien in Idstein. Bis heute verbindet sich diese Adelsfamilie mit dem holländischen Königshaus.  Die Beseitigung fast aller gotischen Elemente aus der Kirche und statt dessen ihre farbenprächtige Ausmalung von Künstlern aus der Rubensschule erfolgte in einer Zeit, in der Idstein vom Grafen streng protestantisch ausgerichtet wurde. Wie passt das zusammen mit dieser Pracht? Und auch die Information, dass gleichzeitig, während holländische Maler sich in dieser Farbenvielfalt verloren, in Idstein die Pest wütete, 39 Hexenprozesse durchgeführt wurden und der Regent seinen eigenen ältesten Sohn verstieß, weil er katholisch glauben wollte, trübt den Blick ins bunte Gewölbe.

Trotzdem ist diese Kirche jeden Abstecher Wert, sie ist dankenswerterweise tagsüber meist geöffnet. Und über die Finsternis ihrer Geschichte kann den Besucher vielleicht auch ihr Name „Unionskirche“ hinwegtrösten: Er ist Ergebnis einer freiwilligen, nicht verordneten Fusion zweier protestantischer Linien zur „nassauischen“ Union. Na also, es geht doch: Man kann auskommen miteinander.

 

Ein guter historischer Überblick zur Unionskirche Idstein findet sich auf der Website der Kirchengemeinde: https://www.unionskirche-idstein.de/ueber-uns/die-unionskirche/

 

Zwei Türme, zwei Besitzer (#0018)

Bartholomäuskirche, Kirchplatz, 71706 Markgröningen

Mein Besuch am 10. August 2021

Ein Glockenturm, ein Turm für die Nachwache: Bartholomäuskirche in Markgröningen

Sehr dominant prägt die Kirche mit ihren auffällig unterschiedlichen beiden Türmen das Stadtbild von  Markgröningen, ein Fachwerkstädtchen wenige Kilometer entfernt von Stuttgart. Ich stand schon öfters vor dieser mächtigen Kirche, immer war sie geschlossen. Diesmal war es anders: Dank ehrenamtlicher und hilfsbereiter Aufsicht war die Kirche an einem Werktag nachmittags für zwei Stunden geöffnet, und der Anschlag an der Kirche verspricht, dass dies wieder öfter der Fall sein soll.

Die zahllosen Radfahrer und Ausflügler, die durch den Weinbauort strömen, sollten ruhig  hereinschauen in diesen großen, strengen Kirchenraum, wenn er geöffnet ist. Mich hat wieder einmal am meisten die Wucht jahrhundertealter Mauern und Pfeiler umfangen, die mich im Hochsommer mit angenehmer Kühle verwöhnten. Die majestätische Raumwirkung tritt zurück gegenüber den sehenswerten Details, auf die den Besucher nicht nur die nette Aufsichtsdame, sondern auch ein ansprechend gestalteter Flyer hinweist, der kostenlos ausliegt.

Ein hoher, strenger Kirchenraum mit vielen sehenswerten Details

Das originellste Merkmal der Kirche findet sich aber außen: ihre beiden Türme. Der eine davon gehört zur Kirche und enthält vier Glocken. Der andere gehört der Stadt, ist also weltlich, und hatte die Funktion eines „Hochwachturms“. Wer selbst in einer Stadt aufgewachsen ist, in der es sogar noch einen Türmer auf dem (einen) Kirchturm gibt (heute aus touristischen Gründen, früher aber auch als „Hochwächter“ über Feuer und andere Gefahren der Nacht), der fragt sich schon, warum man in  Markgröningen nicht den Glockenturm auch so hätte bauen können, dass er zur Nachtwache genutzt hätte werden können.

Sehr informative Ausführungen auf Wikipedia zur Bartholomäuskirche in Markgröningen: https://de.wikipedia.org/wiki/Bartholom%C3%A4uskirche_(Markgr%C3%B6ningen)

und auf der Website der Kirchengemeinde: https://markgroeningen.churchdesk.com/

 

Ausgeschilderte Seitenkapelle (#0017)

Pfarrkirche Maria Krönung, Matthias-Grünewald-Straße 45, 97980 Bad Mergentheim (Ortsteil Stuppach)

Mein Besuch am 5. August 2021

Maria Krönung in Stuppach bei Bad Mergentheim

Der Zufall hatte mich in die Landschaft zwischen Mainfranken und Hohenlohe getrieben, und auf dem Weg zur „Schutzmantelmadonna“ von Hans Holbeim d.J. in Schwäbisch Hall (siehe dazu meinen Essay als #Kulturflaneur unter dem Titel „Zwei Männer und eine Madonna“) führte der Weg vorbei am Hinweisschild „Stupppacher Madonna“. Also schnell einmal abgebogen, den Berg hinaufgefahren und angehalten an der kleinen Pfarrkirche Maria Krönung, die über das Dorf wacht, das der Madonna ihren Namen gab.

Die Kirche selbst ist eher unspektakulär, ein klarer, gotischer Kirchenraum, lichtdurchflutet und streng. Eine sehr stimmige Raumwirkung, symmetrischer Aufbau. Ich war alleine dort und habe den Raum als einladend und intim empfunden.

Das farbenfrohe Madonnenbildnis von Matthias Grünewald in einer eigens dafür errichteten Seitenkapelle

Die schon an der Straße ausgeschilderte Madonna hängt in einer Seitenkapelle. Es handelt sich um das über 500 Jahre alte Madonnengemälde von Matthias Grünewald (ca. 1480 bis ca. 1530) , das sich seit 1812 in Stuppach befindet. Die Geschichte des Bildes ist ein Nachlesen Wert, es wurde wiederholt auch inhaltlich verändert. Bis Ende des 19. Jahrhunderts galt der weltberühmte Meister Rubens als sein Schöpfer, und Zuschreibung durch Kunstexperten auf Matthias Grünewald kam bei den Stuppachern als „Herabstufung“ gar nicht gut an. Aus heutiger Sicht ging man über viele Jahre mit dem Bild wohl auch konservatorisch recht ruppig um, schnitt es auf passende Größe zu und nahm nicht sachgemäße Ausbesserungen und Konservierungen vor.

Das Bild ist leuchtend bunt, und insofern schon eine Überraschung. Ich habe lange versucht, einen Zauber zu finden in dieser farbigen Mariendarstellung; mich hat sie nicht erreicht. Also weiter nach Schwäbisch Hall, zu einer anderen Madonna!

Die Stuppacher Madonna hat eine eigene Website: http://www.stuppacher-madonna.de/

Zur Geschichte der „Stuppacher Madonna“ siehe auch hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Stuppacher_Madonna

Sehr informativ und interessant fand ich dieses kurze Video über die Madonna:

(Fast) alles gleich geblieben (#0016)

St. Salvator, Salvatorgäßchen 2, 86720 Nördlingen

Mein Besuch am 28. Juli 2021

Die erneuerten Kirchenfenster von St. Salvator

Meine eigene Kindheitskirche! Hier wurde ich getauft, habe ich gebeichtet und Kommunion gefeiert, diese Kirche hat mein eigenes Kirchenbild geprägt durch Hunderte von Sonntagsbesuchen, gemeinsam mit meinen Eltern.

Wenn ich mich heute St. Salvator nähere, erlebe ich außen vieles verändert; es gibt einen einladenden Vorplatz mit Baum und Rundbank, wo in meiner Kindheit nur Autos standen; eine neue Rampe erlaubt auch Kinderwägen und Rollstühlen das Betreten der Kirche. Aber im Inneren finde ich auf den ersten Blick die Kirche fast unverändert vor, als sei die Zeit stehen geblieben. Das hohe gotische Kirchenschiff strebt noch immer wie seit Jahrhunderten zum Himmel, innen wirkt die Kirche viel weiträumiger als von außen, wo sie sich eher unauffällig in das mittelalterliche Stadtbild der Fachwerk-Kleinstadt einfügt. Nicht einmal einen Turm hat sie, nur einen Dachreiter, was mich als Kind geradezu gekränkt hat.

Die Zeit ist aber nicht stehen geblieben. Vor zehn Jahren wurde die Kirche komplett saniert, dabei drei Fenster im Chor erneuert und mit modernem Farbspiel versehen, welche die Kirche in warmes Licht tauchen. Die Deckenbögen im Chorraum sind jetzt farbig bemalt, die Wände weißer als ich sie in Erinnerung hatte.

Seit Jahrhunderten unverändert, wie auch das, was dahinter warte – Das Kirchenportal von St. Salvator

Aber sonst erinnert mich die Kirche vor allem an die Beharrlichkeit der Zeit: Die Schriften liegen noch im gleichen Schriftenstand wie vor fünfzig Jahren, es riecht noch wie in meiner Kindheit, und wahrscheinlich knarzen auch die Holzstufen zur Empore noch immer so wie damals, aber die Tür dorthin ist jetzt abgeschlossen – das ist neu.  Und dass die Kirche ihre Gründung im 14. Jahrhundert einem sogenannten „Hostienwunder“ zu verdanken haben soll, hatte ich bestimmt im Heimatkundeunterricht gelernt, aber längst vergessen. Das Wunder bestand darin, dass in einem brennenden Haus alles Weltliche vernichtet wurde, aber die Hostie für einen dort Sterbenden alle Verwüstungen des Feuers unbeschädigt überstanden haben soll. Auch wenn man Probleme hat, solche Geschichten zu glauben, ist diese doch eine schöne Parabel für Beständigkeit im Wandel.

St. Salvator bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/St._Salvator_(N%C3%B6rdlingen)

 

 

Schillers Taufkirche (#0015)

Stadtkirche Marbach, Niklastorstr. 5, 71672 Marbach a. N.

Mein Besuch am 25. Juli 2021

Eng geht es zu rund um die Stadtkirche von Marbach a. N.

Eng winden sich die Gässchen um die Kirche, es ist schwierig, genug Abstand zu gewinnen, um sie in ihrer Gänze erfassen zu können. Ein kleines Fachwerk-Türmchen für eine Wendeltreppe schmiegt sich an ihre verbaute Fassade, ein barocker Glockenturm thront auf ihrem Dach.

In diesem Kirchlein wurde am 11. November 1959 Friedrich Schiller getauft, der nur wenige Schritte entfernt geboren wurde. Der damals genutzte Taufstein ist noch heute in Gebrauch. Schiller wird ihm nicht mehr viel Beachtung geschenkt haben, da seine Familie schon bald von Marbach fort ziehen musste. Der rebellische Geist, der ihn bald in Konflikt mit dem württembergischen Herrscherhaus brachte, macht es eher unwahrscheinlich, dass Schiller als Erwachsener nochmals nach Marbach zurückkehrte. Und so steht der berühmte Taufstein ziemlich verloren in dieser sonst wie ausgeweidet wirkenden Kirche. Kein Altar ziert den Chor, die Orgel steht praktisch, aber nicht organisch, seitlich im Hauptschiff, und die Empore ist daher gähnend leer.

Diese Kirche hat manches mitgemacht, und es nimmt kein Ende. Beim Stadtbrand war sie 1693 ausgebrannt, wurde dann wieder aufgebaut. Seither hat sie den Aufstieg Württembergs zum Königreich, die Revolution 1918, den Nationalsozialismus er- und überlebt. Im Oktober 2020 wurde ihre Haupteingangstür zum Ziel eines Brandanschlages eines Marbachers, der sich selbst der „Reichsbürger“-Szene zuordnet.

Die Orgel neben dem Altar ist sicher praktisch, aber is sie da auch schön? Und links daneben die Taufurkunde von Friedrich Schiller

Ich hatte bereits in der mächtigen Stiftskirche von Herrenberg beklagt, dass manche Kirchen ihrer Seele beraubt werden. So geht es mir auch hier: Dieses alte Gemäuer hätte so viel zu erzählen, viel mehr als der Taufstein eines berühmten Marbachers. Aber sie erzählt leider wenig.

Über Friedrich Schiller in Marbach und seinen Streit mit dem württembergischen Herrscherhaus mehr bei Wikipedia:  https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Schiller

 

Außen Barock, innen ganz in Weiß (#0014)

Kirche zur Heiligsten Dreieinigkeit, Marktplatz, 71634 Ludwigsburg

Mein Besuch am 22. Juli 2021

Der modernisierte Innenraum der Dreieinigkeitskirche in Ludwigsburg

Ganz in Weiß begrüßt den Besucher das 2006 grundlegend modernisierte Innere der katholischen Dreieinigkeitskirche am Marktplatz von Ludwigsburg. Dies ist eine Überraschung, denn außen trägt das Gebäude das barocke Kleid, das man in der Garnisionsstadt vor dem Barockschloss erwartet. Die Kirche ist das etwas bescheidenere Pendant der viel größeren evangelischen Stadtkirche am gleichen Platz genau gegenüber. Zusammen mit den anderen barocken Fassaden bilden die beiden Kirchen die einladende Kulisse für diesen südlich anmutenden, weiten Platz. Die Machtverhältnisse zwischen den christlichen Konfessionen in Württemberg sind damit klar nach außen dokumentiert. Im Inneren aber hat die kleinere katholische Kirche viel Mut bewiesen. Eine strenge Holzgliederung hat das Kirchenschiff neu unterteilt und damit eine flexible Nutzung ermöglicht. Ein paar wenige historische Bezüge und Kunstwerke sind erhalten geblieben, aber es dominiert das Zeitlos-moderne.

Vielleicht drücken Ludwigsburgs Katholiken damit genau das aus, was ihre Geschichte prägt: Beharrungswille und Veränderungsbereitschaft. Von den Gnaden der jeweils regierenden Herzöge und Könige und deren politischen Überlegungen zu wechselnden Konfessionsbekenntnissen abhängig, durften Katholiken in Ludwigsburg mal ihren Glauben ausüben – mal nicht. Da ist es vielleicht ein stiller Triumph, dass jetzt sogar die prächtige barocke (aber nicht beheizbare und daher im Winter geschlossene) Schlosskirche zu dieser kleinen katholischen Kirchengemeinde zählt.

Ich hatte das Glück, bei meinem Besuch am Markttag sogar eine ehrenamtlich tätige Kirchenaufseherin in dem innen modernen Kirchlein anzutreffen, die mir trefflich Auskunft über Baugeschichte und historische Hintergründe geben konnte. Wie schön, dass sich Menschen für einen einladenden Sozialraum Kirche engagieren!

Zur Website der Kirchengemeinde: www.hl-dreieinigkeit.de

 

Das ehrliche Leid am Kreuz (#0011)

Kath. Kirche Von der Verklärung des Herrn, Neufahrwasserweg 8, 12685 Berlin-Marzahn

Mein Besuch am 11. Juni 2021

„Von der Verklärung des Herrn“ in Berlin-Marzahn

Der Berliner Stadtteil Marzahn steht bis heute wegen der unfassbaren Ansammlung von Plattenbauwohnungen vor allem bei Westberlinern und Westdeutschen in äußerst zweifelhaftem Ruf. Mehr als 100.000 Menschen leben da heute – die allermeisten davon in renovierten Hochhäusern – für eine katholische Kirche echte Diaspora. Die Kirche „Von der Verklärung des Herrn“ thront unmittelbar über der vierspurigen Landsberger Allee. Ihr Grundstein in Berlin-Marzahn wurde 1984 gelegt, das Geld für den Bau kam größtenteils aus dem Westen. Eröffnet wurde sie 1987.

 

 

Die ausdrucksstarke Christus-Figur von Hans Perathoner

Mich empfängt ein nüchterner, moderner Kirchenraum ohne architektonischem Schnickschnack, daneben ein alleinstehender moderner, ebenso schlichter Kirchturm. Mutig war die Gemeinde  in der Ausstattung. Eine vier Meter hohe Figur von Christus am Kreuz (aber ohne Kreuz) dominiert den Raum, und sagt ohne ein Wort alles über das Leid am Kreuz, idealisiert nichts und redet nichts schön am Tod. Die Figur stammt aus dem Jahr 1930 und wurde vom Tiroler Künstler Hans Perathoner geschaffen, der sie aus einem einzigen Eichenstamm herausschlug. Seither wandert sie wie ein Untoter durch verschiedene Depots und Kirchen Berlins, da sie „nicht den üblichen Kirchenvorstellungen“ entsprach (wie ein diplomatisch formulierender Autor auf Wikipedia schreibt) und ist jetzt als Leihgabe in dieser modernen Kirche gelandet. Kirchenasyl für einen leidenden Christus in Marzahn.

Wikipedia zur Kirche Verklärung des Herrn: https://de.wikipedia.org/wiki/Kirche_von_der_Verkl%C3%A4rung_des_Herrn

Die Gethsemanekirche ist auch Teil meines Textes als #Berliner Flaneur über politische Kirchen in Berlin unter dem Titel Kirchen-Politik.

Die Politische (#0012)

Gethsemanekirche, Prenzlauer Berg, Stargarder Str. 77, 10437 Berlin

Mein Besuch am 17. Juni 2021

Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg

Das Pflaster glüht. 36 Grad zeigt das Thermometer, gefühlt sind es über vierzig. Im hochsommerlich aufgeheizten Prenzlauer Berg ducken sich die Straßencafés in den staubigen Schatten unter kümmerliche Sonnenschirme. Blanke Haut dominiert das Straßenbild, überhitzte Kinder, Eis-kaufende Eltern, sich matt dahinquälende Senioren versuchen ein nebeneinander im Kiez. Und inmitten dieser aufgeheizten Lebendigkeit steht stolz und thronend eine neo-romanische Kirche aus rotem Backstein. „Homophobie ist Sünde“ prangt als Transparent über dem Eingang der 1893 errichteten Gethsemanekirche.

Selten bekommt man eine so klar politisch orientierte Kirche zu sehen. Hier ist das Engagement für Menschenrechte nicht Nebensache, sondern steht mindestens gleichberechtigt neben der Verkündung der christlichen Botschaft. Am Zaum hängen Biografien politische Verfolgter, in der Kirche liegen Unterschriftenblätter für Solidaritätsbekundungen aus – gegen politische Verfolgung in China, der Türkei oder Belarus, für das Volksbegehren zur Enteignung der Deutschen Wohnen, für eine Schließung der menschenunwürdigen Lager an den EU-Außengrenzen. Jeden Tag um sechs finden sich in der Kirche Gläubige zu einer „Politischen Andacht“ zusammen. Diese Kirche ist ein unbequemer Ort, ein lauter Schrei für mehr Engagement gegen das Unrecht auf dieser Welt. Und das war sie auch in der Zeit des Nationalsozialismus, als die Pfarrersfrau hier Juden versteckte, und in den letzten Monaten der DDR, als sich im Schutz dieser Kirche die friedliche Umwälzung formierte. In einer kleinen Ausstellung sind die Bilder von 1989 zu sehen, dichtgedrängt saßen die Menschen im schönen, weiten, damals prall gefüllten Kirchenraum, hören dem Pfarrer zu, der Staat und Demonstranten auffordert: „Keine Gewalt!“. Von vollgefüllten Bänken kann jetzt keine Rede mehr sein bei der politischen Andacht. Wird Kirche von heute noch einmal so relevant werden für die Gesellschaft wie in diesen Zeiten? Die Gethsemanekirche ist der richtige Ort, genau darüber nachzudenken.

Hell und weit wie eine Arena: Der Innenraum der Gethsemanekirche

Und sie ist auch ein schöner Ort. Das weite Kirchenschaff entfaltet im Inneren eine fast runde, arena-artige Raumwirkung, eine einladende Halle für Stille, für Andacht, für Musik. Außen kann man um die Kirche herum gehen; was einmal ein Friedhof war, ist jetzt ein kleiner grüner Ort der Regeneration, mit Kunst unter großen Bäumen, mit schattigen Bänken.

Website der Kirchengemeinde: https://ekpn.de/vier-kirchen/gethsemane/

Die Gethsemanekirche ist auch Teil meines Textes als #Berliner Flaneur über politische Kirchen in Berlin unter dem Titel Kirchen-Politik.

… und davor ein „Mohr“ (#0013)

Stadtkirche St. Peter, Markt 17, 07607 Eisenberg

Mein Besuch am 23. Juni 2021

Stadtkirche St. Peter Eisenberg

Eine alte, mit ihrer langen Geschichte ehrfürchtig machende, stille Kirche. Ihre Gründungsgeschichte reicht in das 13. Jahrhundert zurück, und zuletzt in den Jahren des Sozialismus kämpfte die Kirchengemeinde gegen den Verfall ihres Gotteshauses an. Jetzt erstrahlt sie in renoviertem Glanz: ein weites, strenges Kirchenschiff unter einer hölzernen Decke, davor ein Altarraum hinter gotischem Spitzbogen.

Mich hat vor allem das ungewöhnliche Äußere dieser Kirche beeindruckt: ein wuchtiger, sich an das Kirchenschiff heranduckender Turmbau, der die ganze Breite des Kirchenschiffs einnimmt, und durch den man die Kirche betritt. Im Vorraum findet sich eine Gedenktafel an das erste Friedensgebet in Eisenberg in dieser Kirche am 25. Oktober 1989.

"Mohrenbrunnen" in Eisenberg
Vor der Stadtkirche: der „Mohrenbrunnen“

Vor der Kirche steht ein ungewöhnlicher Brunnen, der einen „Mohren“ zeigt, der sich aus einem Trinkgefäß labt. Die Figur stammt immerhin von 1727 und soll an eine Sage erinnern: Danach wurde in Eisenberg zur Zeit der Kreuzzüge ein versklavter Diener des Diebstahls aus dem Schmuckbestand einer Gräfin bezichtigt, zum Tode verurteilt, aber kurz vor der Hinrichtung begnadigt, da die Gräfin das verlegte Schmuckstück wieder gefunden hatte.  Zur Entschädigung sei der Diener in Freiheit entlassen und in das Eisenberger Stadtwappen aufgenommen worden. Wollen wir das glauben?

Informationen auf der Seite der Kirchengemeinde: https://web.archive.org/web/20130216132430/http://www.stpeter.jetzweb.de/unterseiten/haeuser.html

Wikipedia zum „Mohrenbrunnen“: https://de.wikipedia.org/wiki/Mohrenbrunnen_(Eisenberg)