Ausgeschilderte Seitenkapelle (#0017)

Pfarrkirche Maria Krönung, Matthias-Grünewald-Straße 45, 97980 Bad Mergentheim (Ortsteil Stuppach)

Mein Besuch am 5. August 2021

Maria Krönung in Stuppach bei Bad Mergentheim

Der Zufall hatte mich in die Landschaft zwischen Mainfranken und Hohenlohe getrieben, und auf dem Weg zur „Schutzmantelmadonna“ von Hans Holbeim d.J. in Schwäbisch Hall (siehe dazu meinen Essay als #Kulturflaneur unter dem Titel „Zwei Männer und eine Madonna“) führte der Weg vorbei am Hinweisschild „Stupppacher Madonna“. Also schnell einmal abgebogen, den Berg hinaufgefahren und angehalten an der kleinen Pfarrkirche Maria Krönung, die über das Dorf wacht, das der Madonna ihren Namen gab.

Die Kirche selbst ist eher unspektakulär, ein klarer, gotischer Kirchenraum, lichtdurchflutet und streng. Eine sehr stimmige Raumwirkung, symmetrischer Aufbau. Ich war alleine dort und habe den Raum als einladend und intim empfunden.

Das farbenfrohe Madonnenbildnis von Matthias Grünewald in einer eigens dafür errichteten Seitenkapelle

Die schon an der Straße ausgeschilderte Madonna hängt in einer Seitenkapelle. Es handelt sich um das über 500 Jahre alte Madonnengemälde von Matthias Grünewald (ca. 1480 bis ca. 1530) , das sich seit 1812 in Stuppach befindet. Die Geschichte des Bildes ist ein Nachlesen Wert, es wurde wiederholt auch inhaltlich verändert. Bis Ende des 19. Jahrhunderts galt der weltberühmte Meister Rubens als sein Schöpfer, und Zuschreibung durch Kunstexperten auf Matthias Grünewald kam bei den Stuppachern als „Herabstufung“ gar nicht gut an. Aus heutiger Sicht ging man über viele Jahre mit dem Bild wohl auch konservatorisch recht ruppig um, schnitt es auf passende Größe zu und nahm nicht sachgemäße Ausbesserungen und Konservierungen vor.

Das Bild ist leuchtend bunt, und insofern schon eine Überraschung. Ich habe lange versucht, einen Zauber zu finden in dieser farbigen Mariendarstellung; mich hat sie nicht erreicht. Also weiter nach Schwäbisch Hall, zu einer anderen Madonna!

Die Stuppacher Madonna hat eine eigene Website: http://www.stuppacher-madonna.de/

Zur Geschichte der „Stuppacher Madonna“ siehe auch hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Stuppacher_Madonna

Sehr informativ und interessant fand ich dieses kurze Video über die Madonna:

(Fast) alles gleich geblieben (#0016)

St. Salvator, Salvatorgäßchen 2, 86720 Nördlingen

Mein Besuch am 28. Juli 2021

Die erneuerten Kirchenfenster von St. Salvator

Meine eigene Kindheitskirche! Hier wurde ich getauft, habe ich gebeichtet und Kommunion gefeiert, diese Kirche hat mein eigenes Kirchenbild geprägt durch Hunderte von Sonntagsbesuchen, gemeinsam mit meinen Eltern.

Wenn ich mich heute St. Salvator nähere, erlebe ich außen vieles verändert; es gibt einen einladenden Vorplatz mit Baum und Rundbank, wo in meiner Kindheit nur Autos standen; eine neue Rampe erlaubt auch Kinderwägen und Rollstühlen das Betreten der Kirche. Aber im Inneren finde ich auf den ersten Blick die Kirche fast unverändert vor, als sei die Zeit stehen geblieben. Das hohe gotische Kirchenschiff strebt noch immer wie seit Jahrhunderten zum Himmel, innen wirkt die Kirche viel weiträumiger als von außen, wo sie sich eher unauffällig in das mittelalterliche Stadtbild der Fachwerk-Kleinstadt einfügt. Nicht einmal einen Turm hat sie, nur einen Dachreiter, was mich als Kind geradezu gekränkt hat.

Die Zeit ist aber nicht stehen geblieben. Vor zehn Jahren wurde die Kirche komplett saniert, dabei drei Fenster im Chor erneuert und mit modernem Farbspiel versehen, welche die Kirche in warmes Licht tauchen. Die Deckenbögen im Chorraum sind jetzt farbig bemalt, die Wände weißer als ich sie in Erinnerung hatte.

Seit Jahrhunderten unverändert, wie auch das, was dahinter warte – Das Kirchenportal von St. Salvator

Aber sonst erinnert mich die Kirche vor allem an die Beharrlichkeit der Zeit: Die Schriften liegen noch im gleichen Schriftenstand wie vor fünfzig Jahren, es riecht noch wie in meiner Kindheit, und wahrscheinlich knarzen auch die Holzstufen zur Empore noch immer so wie damals, aber die Tür dorthin ist jetzt abgeschlossen – das ist neu.  Und dass die Kirche ihre Gründung im 14. Jahrhundert einem sogenannten „Hostienwunder“ zu verdanken haben soll, hatte ich bestimmt im Heimatkundeunterricht gelernt, aber längst vergessen. Das Wunder bestand darin, dass in einem brennenden Haus alles Weltliche vernichtet wurde, aber die Hostie für einen dort Sterbenden alle Verwüstungen des Feuers unbeschädigt überstanden haben soll. Auch wenn man Probleme hat, solche Geschichten zu glauben, ist diese doch eine schöne Parabel für Beständigkeit im Wandel.

St. Salvator bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/St._Salvator_(N%C3%B6rdlingen)

 

 

Schillers Taufkirche (#0015)

Stadtkirche Marbach, Niklastorstr. 5, 71672 Marbach a. N.

Mein Besuch am 25. Juli 2021

Eng geht es zu rund um die Stadtkirche von Marbach a. N.

Eng winden sich die Gässchen um die Kirche, es ist schwierig, genug Abstand zu gewinnen, um sie in ihrer Gänze erfassen zu können. Ein kleines Fachwerk-Türmchen für eine Wendeltreppe schmiegt sich an ihre verbaute Fassade, ein barocker Glockenturm thront auf ihrem Dach.

In diesem Kirchlein wurde am 11. November 1959 Friedrich Schiller getauft, der nur wenige Schritte entfernt geboren wurde. Der damals genutzte Taufstein ist noch heute in Gebrauch. Schiller wird ihm nicht mehr viel Beachtung geschenkt haben, da seine Familie schon bald von Marbach fort ziehen musste. Der rebellische Geist, der ihn bald in Konflikt mit dem württembergischen Herrscherhaus brachte, macht es eher unwahrscheinlich, dass Schiller als Erwachsener nochmals nach Marbach zurückkehrte. Und so steht der berühmte Taufstein ziemlich verloren in dieser sonst wie ausgeweidet wirkenden Kirche. Kein Altar ziert den Chor, die Orgel steht praktisch, aber nicht organisch, seitlich im Hauptschiff, und die Empore ist daher gähnend leer.

Diese Kirche hat manches mitgemacht, und es nimmt kein Ende. Beim Stadtbrand war sie 1693 ausgebrannt, wurde dann wieder aufgebaut. Seither hat sie den Aufstieg Württembergs zum Königreich, die Revolution 1918, den Nationalsozialismus er- und überlebt. Im Oktober 2020 wurde ihre Haupteingangstür zum Ziel eines Brandanschlages eines Marbachers, der sich selbst der „Reichsbürger“-Szene zuordnet.

Die Orgel neben dem Altar ist sicher praktisch, aber is sie da auch schön? Und links daneben die Taufurkunde von Friedrich Schiller

Ich hatte bereits in der mächtigen Stiftskirche von Herrenberg beklagt, dass manche Kirchen ihrer Seele beraubt werden. So geht es mir auch hier: Dieses alte Gemäuer hätte so viel zu erzählen, viel mehr als der Taufstein eines berühmten Marbachers. Aber sie erzählt leider wenig.

Über Friedrich Schiller in Marbach und seinen Streit mit dem württembergischen Herrscherhaus mehr bei Wikipedia:  https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Schiller

 

Außen Barock, innen ganz in Weiß (#0014)

Kirche zur Heiligsten Dreieinigkeit, Marktplatz, 71634 Ludwigsburg

Mein Besuch am 22. Juli 2021

Der modernisierte Innenraum der Dreieinigkeitskirche in Ludwigsburg

Ganz in Weiß begrüßt den Besucher das 2006 grundlegend modernisierte Innere der katholischen Dreieinigkeitskirche am Marktplatz von Ludwigsburg. Dies ist eine Überraschung, denn außen trägt das Gebäude das barocke Kleid, das man in der Garnisionsstadt vor dem Barockschloss erwartet. Die Kirche ist das etwas bescheidenere Pendant der viel größeren evangelischen Stadtkirche am gleichen Platz genau gegenüber. Zusammen mit den anderen barocken Fassaden bilden die beiden Kirchen die einladende Kulisse für diesen südlich anmutenden, weiten Platz. Die Machtverhältnisse zwischen den christlichen Konfessionen in Württemberg sind damit klar nach außen dokumentiert. Im Inneren aber hat die kleinere katholische Kirche viel Mut bewiesen. Eine strenge Holzgliederung hat das Kirchenschiff neu unterteilt und damit eine flexible Nutzung ermöglicht. Ein paar wenige historische Bezüge und Kunstwerke sind erhalten geblieben, aber es dominiert das Zeitlos-moderne.

Vielleicht drücken Ludwigsburgs Katholiken damit genau das aus, was ihre Geschichte prägt: Beharrungswille und Veränderungsbereitschaft. Von den Gnaden der jeweils regierenden Herzöge und Könige und deren politischen Überlegungen zu wechselnden Konfessionsbekenntnissen abhängig, durften Katholiken in Ludwigsburg mal ihren Glauben ausüben – mal nicht. Da ist es vielleicht ein stiller Triumph, dass jetzt sogar die prächtige barocke (aber nicht beheizbare und daher im Winter geschlossene) Schlosskirche zu dieser kleinen katholischen Kirchengemeinde zählt.

Ich hatte das Glück, bei meinem Besuch am Markttag sogar eine ehrenamtlich tätige Kirchenaufseherin in dem innen modernen Kirchlein anzutreffen, die mir trefflich Auskunft über Baugeschichte und historische Hintergründe geben konnte. Wie schön, dass sich Menschen für einen einladenden Sozialraum Kirche engagieren!

Zur Website der Kirchengemeinde: www.hl-dreieinigkeit.de

 

Das ehrliche Leid am Kreuz (#0011)

Kath. Kirche Von der Verklärung des Herrn, Neufahrwasserweg 8, 12685 Berlin-Marzahn

Mein Besuch am 11. Juni 2021

„Von der Verklärung des Herrn“ in Berlin-Marzahn

Der Berliner Stadtteil Marzahn steht bis heute wegen der unfassbaren Ansammlung von Plattenbauwohnungen vor allem bei Westberlinern und Westdeutschen in äußerst zweifelhaftem Ruf. Mehr als 100.000 Menschen leben da heute – die allermeisten davon in renovierten Hochhäusern – für eine katholische Kirche echte Diaspora. Die Kirche „Von der Verklärung des Herrn“ thront unmittelbar über der vierspurigen Landsberger Allee. Ihr Grundstein in Berlin-Marzahn wurde 1984 gelegt, das Geld für den Bau kam größtenteils aus dem Westen. Eröffnet wurde sie 1987.

 

 

Die ausdrucksstarke Christus-Figur von Hans Perathoner

Mich empfängt ein nüchterner, moderner Kirchenraum ohne architektonischem Schnickschnack, daneben ein alleinstehender moderner, ebenso schlichter Kirchturm. Mutig war die Gemeinde  in der Ausstattung. Eine vier Meter hohe Figur von Christus am Kreuz (aber ohne Kreuz) dominiert den Raum, und sagt ohne ein Wort alles über das Leid am Kreuz, idealisiert nichts und redet nichts schön am Tod. Die Figur stammt aus dem Jahr 1930 und wurde vom Tiroler Künstler Hans Perathoner geschaffen, der sie aus einem einzigen Eichenstamm herausschlug. Seither wandert sie wie ein Untoter durch verschiedene Depots und Kirchen Berlins, da sie „nicht den üblichen Kirchenvorstellungen“ entsprach (wie ein diplomatisch formulierender Autor auf Wikipedia schreibt) und ist jetzt als Leihgabe in dieser modernen Kirche gelandet. Kirchenasyl für einen leidenden Christus in Marzahn.

Wikipedia zur Kirche Verklärung des Herrn: https://de.wikipedia.org/wiki/Kirche_von_der_Verkl%C3%A4rung_des_Herrn

Die Gethsemanekirche ist auch Teil meines Textes als #Berliner Flaneur über politische Kirchen in Berlin unter dem Titel Kirchen-Politik.

Die Politische (#0012)

Gethsemanekirche, Prenzlauer Berg, Stargarder Str. 77, 10437 Berlin

Mein Besuch am 17. Juni 2021

Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg

Das Pflaster glüht. 36 Grad zeigt das Thermometer, gefühlt sind es über vierzig. Im hochsommerlich aufgeheizten Prenzlauer Berg ducken sich die Straßencafés in den staubigen Schatten unter kümmerliche Sonnenschirme. Blanke Haut dominiert das Straßenbild, überhitzte Kinder, Eis-kaufende Eltern, sich matt dahinquälende Senioren versuchen ein nebeneinander im Kiez. Und inmitten dieser aufgeheizten Lebendigkeit steht stolz und thronend eine neo-romanische Kirche aus rotem Backstein. „Homophobie ist Sünde“ prangt als Transparent über dem Eingang der 1893 errichteten Gethsemanekirche.

Selten bekommt man eine so klar politisch orientierte Kirche zu sehen. Hier ist das Engagement für Menschenrechte nicht Nebensache, sondern steht mindestens gleichberechtigt neben der Verkündung der christlichen Botschaft. Am Zaum hängen Biografien politische Verfolgter, in der Kirche liegen Unterschriftenblätter für Solidaritätsbekundungen aus – gegen politische Verfolgung in China, der Türkei oder Belarus, für das Volksbegehren zur Enteignung der Deutschen Wohnen, für eine Schließung der menschenunwürdigen Lager an den EU-Außengrenzen. Jeden Tag um sechs finden sich in der Kirche Gläubige zu einer „Politischen Andacht“ zusammen. Diese Kirche ist ein unbequemer Ort, ein lauter Schrei für mehr Engagement gegen das Unrecht auf dieser Welt. Und das war sie auch in der Zeit des Nationalsozialismus, als die Pfarrersfrau hier Juden versteckte, und in den letzten Monaten der DDR, als sich im Schutz dieser Kirche die friedliche Umwälzung formierte. In einer kleinen Ausstellung sind die Bilder von 1989 zu sehen, dichtgedrängt saßen die Menschen im schönen, weiten, damals prall gefüllten Kirchenraum, hören dem Pfarrer zu, der Staat und Demonstranten auffordert: „Keine Gewalt!“. Von vollgefüllten Bänken kann jetzt keine Rede mehr sein bei der politischen Andacht. Wird Kirche von heute noch einmal so relevant werden für die Gesellschaft wie in diesen Zeiten? Die Gethsemanekirche ist der richtige Ort, genau darüber nachzudenken.

Hell und weit wie eine Arena: Der Innenraum der Gethsemanekirche

Und sie ist auch ein schöner Ort. Das weite Kirchenschaff entfaltet im Inneren eine fast runde, arena-artige Raumwirkung, eine einladende Halle für Stille, für Andacht, für Musik. Außen kann man um die Kirche herum gehen; was einmal ein Friedhof war, ist jetzt ein kleiner grüner Ort der Regeneration, mit Kunst unter großen Bäumen, mit schattigen Bänken.

Website der Kirchengemeinde: https://ekpn.de/vier-kirchen/gethsemane/

Die Gethsemanekirche ist auch Teil meines Textes als #Berliner Flaneur über politische Kirchen in Berlin unter dem Titel Kirchen-Politik.

… und davor ein „Mohr“ (#0013)

Stadtkirche St. Peter, Markt 17, 07607 Eisenberg

Mein Besuch am 23. Juni 2021

Stadtkirche St. Peter Eisenberg

Eine alte, mit ihrer langen Geschichte ehrfürchtig machende, stille Kirche. Ihre Gründungsgeschichte reicht in das 13. Jahrhundert zurück, und zuletzt in den Jahren des Sozialismus kämpfte die Kirchengemeinde gegen den Verfall ihres Gotteshauses an. Jetzt erstrahlt sie in renoviertem Glanz: ein weites, strenges Kirchenschiff unter einer hölzernen Decke, davor ein Altarraum hinter gotischem Spitzbogen.

Mich hat vor allem das ungewöhnliche Äußere dieser Kirche beeindruckt: ein wuchtiger, sich an das Kirchenschiff heranduckender Turmbau, der die ganze Breite des Kirchenschiffs einnimmt, und durch den man die Kirche betritt. Im Vorraum findet sich eine Gedenktafel an das erste Friedensgebet in Eisenberg in dieser Kirche am 25. Oktober 1989.

"Mohrenbrunnen" in Eisenberg
Vor der Stadtkirche: der „Mohrenbrunnen“

Vor der Kirche steht ein ungewöhnlicher Brunnen, der einen „Mohren“ zeigt, der sich aus einem Trinkgefäß labt. Die Figur stammt immerhin von 1727 und soll an eine Sage erinnern: Danach wurde in Eisenberg zur Zeit der Kreuzzüge ein versklavter Diener des Diebstahls aus dem Schmuckbestand einer Gräfin bezichtigt, zum Tode verurteilt, aber kurz vor der Hinrichtung begnadigt, da die Gräfin das verlegte Schmuckstück wieder gefunden hatte.  Zur Entschädigung sei der Diener in Freiheit entlassen und in das Eisenberger Stadtwappen aufgenommen worden. Wollen wir das glauben?

Informationen auf der Seite der Kirchengemeinde: https://web.archive.org/web/20130216132430/http://www.stpeter.jetzweb.de/unterseiten/haeuser.html

Wikipedia zum „Mohrenbrunnen“: https://de.wikipedia.org/wiki/Mohrenbrunnen_(Eisenberg)

 

Das Innere eines blauen Saphiers (#0010)

Neue Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Berlin, Breitscheidplatz, 10789 Berlin

Mein Besuch am 14. Juni 2021

Wen im Inneren eines Edelsteins: Die neue Gedächtniskirche in Berlin

Topas, Lapislazuli oder blauer Saphir? Ich musste googeln, um die verschiedenen Blautöne von Edelsteinen zu sehen, und konnte mich dann doch nicht entscheiden. Das Innere der neuen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im Herzen von West-Berlin, direkt am Anfang des Kurfürstendamm ist in meiner Sammlung eine Ausnahme. Denn sie ist weltberühmt, vielleicht noch mehr wegen der Ruine ihres Vorgängerbaus, die uns an Krieg und Zerstörung mahnen soll. Geweiht wurde die neue Kirche im Dezember 1961, ein halbes Jahr nach dem Mauerbau.

Das Ensemble aus alter Ruine und neuer Kirche ist eine echte Sehenswürdigkeit, ein touristischer Hotspot – und doch ein Beispiel für genau das, warum mir Kirchen im öffentlichen Raum so wertvoll erscheinen: sie ist tagsüber geöffnet, für jeden, egal welcher Herkunft, welchen Standes und welcher Religion. In ihr ist es schlagartig still. Jeder Besucher findet sich wieder im Inneren eines blaue Edelsteins, übergossen mit blauem Licht, das durch die rund 20.000 quadratischen Glasbausteinen von außen in diesen verzaubernden Raum einströmt. Wer immer hier Ruhe sucht, kann sie in diesem Blau finden, während draußen vor der Tür das bunte und laute Leben tobt.

Wieviel diskutieren wir über die Rolle der Kirchen in unserer Zeit! Eine wichtige wäre, öfters genau solche Orte anzubieten. Deshalb ist diese Kirche einer meiner Lieblingsorte in Berlin. Auch, weil hier die Aufgabe offensiv angenommen wird, die sich für eine Kirche stellt, die inmitten der Kommerzmeile des Berliner Westens liegt, die offen gehalten wird für die Menschen, die sich modern bereithält für die Herausforderungen des Heute und Jetzt: mit kurzen täglichen Andachten, mit Konzerten, mit offensiver Informationspolitik auch auf modernen Kanälen. Persönlich würde ich mir noch wünschen, dass man den Kaiser aus dem historischen Namen streicht, wie das bereits bei der Internetpräsenz erfolgt ist. Gedächtniskirche – das genügt vollkommen, finde ich.

Die sehr informative Website der Kirchengemeinde findet man hier: https://www.gedaechtniskirche-berlin.de/

siehe auch mein Beitrag als #BerlinerFlaneur: Kirchen-Politik

 

 

Zwölf Berufene an der Autobahn (#0009)

Dorfkirche Zeestow, Wustermarker Str. 16, 14656 Brieselang (Ortsteil Zeestow)

Mein Besuch am 30. Mai 2021

Dorfkirche Zeestow

Wieder mal eine künstlerische Überraschung auf meiner Suche nach der Königseiche in Brieselang (siehe dazu mein Text als #BerlinerFlaneur): die auch als Autobahnkirche ausgewiesene (und daher tagsüber immer geöffnete) Dorfkirche Zeestow. Ähnlich wie die Feinigerkirche bei Weimar verdankt sie ihre Existenz dem Engagement von Bürgern, die einen fast schon dem Verfall preisgegebenen Kirchenbau mit vielen Stunden ehrenamtlichen Engagements retteten. Ursprünglich war die Kirche nach einem Großbrand 1851 völlig neue errichtet worden, verfiel aber in den DDR-Jahren.

„Die Berufenen“ von Volker Stelzmann

Entstanden ist auch hier wieder ein lauschiger Ort, umgeben von den Resten eines alten Friedhofes, eine echte „Tankstelle für die Seele“. Die große Überraschung findet sich aber in ihrem Inneren: Ein Bilderzyklus von Volker Stelzmann findet sich dort, der unter dem Titel „Die Berufenen“ auf die zwölf Apostel in der Form von Menschen in Not verweist – vor allem aber wohl darauf hinweist, dass „Jesus solche Menschen in seine Nachfolge berufen“ habe, wie der Prospekt der Kirche formuliert. Die Darstellung ist modern und eindringlich in diesem stillen, hellen, sonst modern und zurückhaltend gestalteten Kirchenraum. Entstanden sind eindrucksvolle Porträts der Armut, der jederzeitigen Chance zur Aufrichtigkeit unter der Last des Lebens. Der Zyklus ist jede Reiseunterbrechung am Berliner Autobahnring wert!

Die informative Website der Kirche: http://dorfkirche-zeestow.de/

Der Maler Volker Stelzmann hat eine eigene Website: https://www.volkerstelzmann.de/

 

 

Hier blickte Fontane vom Turm (#0008)

St. Nikolai, Berlin-Spandau, Reformationsplatz 1, 13597 Berlin

Mein Besuch am 30. Mai 2021

St. Nikolai, Innenraum und gotischer Altar

Eine große klare Kirche, hell und doch streng. Das gotische Gewölbe weist in den Himmel, der Kirchenraum ist breit gegliedert und lädt zum stillen Rundgang ein. Die Kirche ist sehr alt; im Rohbau um 1370 erstmals fertiggestellt, ein 1398 gestiftetes gotisches Taufbecken ist bis heute erhalten. Später wurde die Kirche neugotisch von Karl Friedrich Schinkel restauriert, der Turm brannte mehrfach aus und trägt eine barocke Spitze mit einer Aussichtskanzel, die schon Theodor Fontane in seinen „Wanderungen“ für einen ersten Rundblick auf das Havelland nutzte (siehe auch „Im Brieselang“ unter #BerlinerFlaneur).

Wer das Glück hatte, wie ich die Kirche geöffnet zu erleben, und das auch noch bereichert durch  Klavierspiel einer Kirchenmusikerin, findet sein stilles Glück in diesem Raum.

Barocke Kanzel, um 1700, Holz

Während des Nationalsozialismus war hier Superintendent Martin Albertz tätig, ein mutiger Mann aus dem kirchlichen Widerstand gegen das Hitler-Regime. Diesen Widerstand musste er nicht nur gegenüber dem Staat durchsetzen, sondern auch gegenüber der Mehrheit seiner eigenen Amtsbrüder und seines Kirchengemeinderates. Er war Mitbegründer und eine der führenden Vertreter der „Bekennenden Kirche“, die sich gegen die Gleichschaltung durch das NS-Regime wehrte.

Mehr über Martin Albertz: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Albertz

und über St. Nikolai auf der Website der Pfarrgemeinde: https://nikolai-spandau.de/page/2062/st-nikolai-kirche

und der Text von Fontane im Original: https://www.textlog.de/41235.html